Die Schattenplage
als von ihr ablenken?«
»Ich hab’s ja versucht, aber alles, was mir einfiel, war ein abscheulicher Hintergrund aus unbeholfenen, gelben Vorhängen.«
Kendra konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Sie hatte eine neue Gewohnheit entwickelt, so zu tun, als halte sie draußen in der Nähe einer Vogeltränke oder eines Blumenbeetes ein Nickerchen, und dann lauschte sie dem Feentratsch. Die Feen sprachen nicht oft mit ihr, wenn sie versuchte, ein Gespräch in Gang zu bringen. Nachdem sie die Feen in die Schlacht geführt und selbst zur Fee geworden war, war Kendras Ansehen weit größer geworden, als sie sich wünschen konnte. Alle Feen waren eifersüchtig.
Zu den positiven Folgen des Geschenks, das die Feen ihr gemacht hatten, gehörte Kendras Fähigkeit, ihre Sprache zu verstehen, sowie mehrere andere magische Dialekte, und sie genoss es, diese Gabe zu benutzen, um zu lauschen.
»Sieh dir Kendra an, wie sie da auf dieser Bank rumliegt«, flüsterte die gelbe Fee in verschwörerischem Ton. »Sie lümmelt hier herum, als gehöre ihr der ganze Garten.«
Kendra unterdrückte ein Lachen. Sie liebte es, wenn die Feen über sie sprachen. Die einzigen Gespräche, die ihr noch mehr Freude bereiteten, waren die, wenn sie über Seth schimpften.
»Ich habe kein Problem mit ihr«, meldete die Rothaarige sich mit ihrer winzigen Stimme zu Wort. »Sie hat mir sogar dieses Armband gemacht.« Sie hielt den Arm hoch, um das Schmuckstück zur Schau zu stellen, das dünn war wie ein Spinnfaden.
»Es ist zu klein, als dass ihre unbeholfenen Finger es hätten machen können«, wandte die gelbe Fee ein.
Kendra wusste, dass die gelbe Fee recht hatte. Sie hatte nie ein Armband gemacht, und erst recht nicht für eine Fee. Die Feen sprachen zwar selten mit ihr, aber sie debattierten oft darüber, welche von ihnen Kendra wohl am liebsten mochte.
»Sie hat viele besondere Talente«, beharrte die rote Fee. »Du wärst erstaunt von den Geschenken, die Kendra ihren engsten Freundinnen macht. Zu jenen von uns, die an ihrer Seite gekämpft haben, um Bahumat einzukerkern, hat sie eine ganz besondere Verbindung. Erinnerst du dich an diesen Tag? Ich glaube, du warst damals ein Kobold.«
Die gelbe Fee trat Wasser nach der roten Fee und streckte ihr die Zunge raus.
»Bitte, Liebes«, sagte die rote Fee, »wir wollen uns doch nicht aufführen wie die Kobolde.«
»Wir, die einige Zeit als Kobolde verbracht haben, kennen Geheimnisse, von denen du nicht das Geringste ahnst«, meinte die gelbe Fee hinterhältig.
»Ich bin mir sicher, dass du eine Expertin bist, wenn es um Warzen und schiefe Glieder geht«, pflichtete die rote Fee ihr bei.
»Dunkelheit bietet andere Gelegenheiten als Licht.«
»Wie ein schauerliches Spiegelbild?«
»Was wäre, wenn wir dunkel und schön sein könnten?«, flüsterte die gelbe Fee. Kendra musste die Ohren spitzen, um sie zu hören.
»Ich gebe nichts auf solche Gerüchte«, erwiderte die rote Fee hochmütig und flatterte davon.
Kendra blieb ganz still liegen, bis sie durch ihre einen Spaltbreit geöffneten Lider sah, wie die gelbe Fee sich in die Luft erhob. Der Wortwechsel hatte ein seltsames Ende gefunden. Die zurückverwandelten Feen sprachen nicht oft von ihrer Zeit als Kobolde. Jene, die Kobolde gewesen waren, schienen sich normalerweise dafür zu schämen. Die rote Fee hatte der anderen einen Schlag unter die Gürtellinie versetzt. Was hatte die gelbe Fee damit gemeint, dass sie dunkel und schön zugleich sein könnten, und warum hatte die rote Fee das Gespräch so abrupt beendet?
Kendra stand auf und ging zurück zum Haus. Die Sonne näherte sich schnell dem Horizont. Oben war ihr Koffer gepackt. Morgen würden sie nach Hartford fahren, von dort nach New York fliegen und einen Anschlussflug nach Atlanta nehmen.
Der Gedanke an ein Treffen mit den Rittern der Morgendämmerung erfüllte sie mit Sorge. Es schien ihr alles viel zu mysteriös. Auch ohne die Gefahr von Verrat klang es nicht nach einem Ort, an den sie gehörte. Ihr größter Trost war die Tatsache, dass Warren, Coulter und Tanu ebenfalls dort sein würden. Es konnte nichts allzu Schreckliches geschehen, wenn sie in der Nähe waren.
Als Kendra die Stufen zu der überdachten Veranda hinaufging, sah sie, wie Tanu und Coulter in einem von Hugo gezogenen Karren den Garten erreichten.
Der Golem blieb stehen, Tanu und Coulter sprangen von dem Karren herunter und gingen schnellen Schrittes auf das Haus zu. Dabei machten sie beide eine ernste Miene.
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