Die Schattenplage
Coulter saßen Tanu und Warren gegenüber, mit reichlich Platz zwischen sich, und Kendra fuhr mit einer Hand über das dicke Polster. Das Auto roch nach Kiefer, mit einem leichten Hauch von Zigarettenrauch.
Nachdem Tanu dem Fahrer die Adresse bestätigt hatte, schob sich die Limousine in den fließenden Verkehr. Sie unterhielten sich beiläufig, während der Fahrer auf den Highway zusteuerte.
»Wie lange dauert die Fahrt?«, erkundigte sich Kendra.
»Ungefähr eine Stunde«, antwortete Coulter.
»Irgendwelche Tipps in letzter Minute?«, fragte Kendra.
»Offenbare niemandem deinen Namen«, sagte Coulter. »Erwähne weder Fabelheim, noch deine Eltern oder woher du kommst. Verrate dein Alter nicht. Gib nichts von dir preis. Spiele nicht auf deine Fähigkeiten an. Erwähne den Sphinx nicht. Sprich nur dann, wenn du es unbedingt tun musst. Die meisten Ritter sammeln eifrig Informationen. Das gehört dazu. Egal ob sie gut oder schlecht sind, ich sage: Je weniger sie wissen, desto besser.«
»Und was darf ich tun?«, fragte Kendra. »Vielleicht sollte ich einfach den Unsichtbarkeitshandschuh tragen und mich in einer Ecke verstecken!«
»Lass mich Coulters Empfehlung, nicht zu sprechen, ein wenig näher ausführen«, erklärte Tanu. »Du kannst ohne Weiteres selbst Fragen stellen. Lerne die Leute kennen. Die Tatsache, dass du neu bist, gibt dir einen triftigen Vorwand, Informationen zu sammeln. Versuche einfach, nicht zu viel zu offenbaren. Du sollst Informationen sammeln, nicht sie ausstreuen. Sei auf der Hut vor jedem Fremden, der zu großes Interesse an dir zeigt. Geh nirgendwo allein hin, mit niemandem.«
»Wir werden in der Nähe bleiben, aber nicht zu nah«, warf Warren ein. »Wir alle kennen andere Ritter, einige davon ziemlich gut. Die werden es sowieso merken, aber wir wollen es den anderen nicht zu leicht machen, uns mit dir in Verbindung zu bringen.«
»Haben wir dich nervös gemacht?«, fragte Coulter.
»Ich bin ziemlich aufgeregt«, gab Kendra zu.
»Entspann dich, amüsier dich!«, ermutigte Warren sie.
»Klar, während ich versuche, alle Anweisungen zu befolgen und es zu vermeiden, entführt zu werden«, stöhnte Kendra.
»Das ist die richtige Einstellung!«, gratulierte Warren.
Die Abenddämmerung näherte sich, und die anderen Autos auf dem Highway schalteten ihre Lichter ein. Kendra lehnte sich in ihren Sitz zurück. Die drei Männer hatten sie gewarnt, dass es eine lange Nacht werden könnte. Sie hatte versucht, im Flugzeug zu schlafen, war aber zu angespannt gewesen, und der Sitz hatte sich nicht weit genug zurückklappen lassen. Stattdessen hatte sie die Kopfhörer aufgesetzt und sich verschiedene Audiokanäle angehört.
Jetzt, in der dunklen Limousine, hatte sie ein wenig mehr Platz, und Schläfrigkeit überkam sie. Sie beschloss, nicht dagegen anzukämpfen. Ihre Lider senkten sich, und sie verbrachte einige Minuten am Rande des Einschlafens, während sie wie unter Wasser hörte, wie die anderen gelegentliche Kommentare abgaben.
In ihrem rastlosen Traum durchstreifte Kendra einen Jahrmarkt. Sie hielt einen weißen Stab mit blauer Zuckerwatte in der Hand. Mit vier Jahren war Kendra auf einer Kirmes für beinahe eine halbe Stunde von ihrer Familie getrennt gewesen, und die Traumszenerie um sie herum fühlte sich ganz ähnlich an. Dampforgelmusik dröhnte und schrillte. Ein Riesenrad drehte sich Runde um Runde, hob die Fahrgäste hoch in den Abendhimmel, bevor es sie wieder in die Tiefe stürzen ließ. Die Mechanik quietschte und knarrte, als wäre sie kurz davor auseinanderzufallen.
Kendra sah in der Menge kurz ihre Eltern und Seth, aber wenn sie versuchte, sich durch das Gedränge zu schieben, um sie zu erreichen, waren sie fort. Bei einer solchen Gelegenheit glaubte sie, ihre Mom hinter einem Popcornwagen hergehen zu sehen. Als Kendra ihr folgte, stand sie plötzlich vor einem hochgewachsenen Fremden mit grauer Afrofrisur. Der Mann lächelte sie an, als wüsste er ein Geheimnis, dann riss er ein großes Stück von ihrer Zuckerwatte ab und steckte es sich in den Mund. Kendra hielt die Süßigkeit von ihm weg und funkelte ihn wütend an, da nahm eine dicke Frau mit Hosenträgern von hinten etwas von ihrer Zuckerwatte. Schon bald drängte Kendra sich durch die Menge und versuchte, von all den Fremden wegzukommen, die ihre Zuckerwatte verschlangen. Aber es hatte keinen Sinn. Ein jeder in der Menge bestahl sie, und kurz darauf hielt sie nur noch den nackten, weißen Stab in der Hand.
Als
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