Die Schattenstaffel Kommissar Morry
überwinden.
Die anwesenden Ladies und Sonnies dieses reizvollen Appartements kümmerten sich nicht um ihn, und so strebte er einem Tisch in Fensternähe zu. Er setzte sich. Sein Blick wanderte forschend über die lärmende Menge hin. So sehr Cary Broyders auch in den Gesichtern der herumlümmelnden Ganoven und Slumgänger forschte, seine Vermutungen befriedigten ihn nicht. Kein Mensch in diesem Gewühl von schreienden und lamentierenden Gästen schien ihm geeignet zu sein, seine Wißbegierde selbst gegen entsprechende Belohnung zu stillen.
Nur einmal streifte ein noch kaum hinter den Ohren trockener Bengel an seinem Tisch vorbei und blinzelte herausfordernd frech auf die Flasche Bier, die ihm eine spindeldürre blasse Frau an den Tisch gebracht hatte. Schrill hämmerte die gequälte Musik-Box, heiser grölten die Seeleute, und verkommene Hafendirnen lechzten nach alkoholischen Getränken . . .
Fast eine ganze Stunde beobachtete Cary das widerliche Treiben. Die Augen schmerzten ihm. Hier würde er keine geeigneten „Gesprächspartner" finden, schätzte er. Darum rief er die blasse Bedienungsfrau herbei. Er wollte zahlen und sich erkundigen, wo das Lokal „Fortune" zu finden wäre. Als sie kam, schwindelte er auf gut Glück los:
„Bless mv soul!" knurrte er wie ein eingefleischter Ganove zwischen den Zähnen hervor. „Trinke ich noch was? Gehe ich? Was mache ich?"
Er erreichte, daß die Blasse am Tisch blieb und sich sogar hinsetzte. Er sagte;
„Bin doch hier mit einem Freund verabredet. Nun kommt dieser Scheich nicht. Der Schürzenjäger hat's bestimmt vergessen oder schäkert noch mit dem Girl da aus . . . aus... Wie heißt der Saftladen? Verdammt, ich hab's vergessen. Mist verfluchter Sorry, wie heißt das Ding? Muß hier in dieser Gegend sein."
Die Frau verzog den Mund zu einem hämischen Grinsen, ließ ihre Zahnlücken sehen und meckerte bissig: „Soll ich's wissen? He, du siehst nicht so aus, als ob du nicht selbst gern mit 'ner Puppe schäkerst. Sei nicht neidisch auf den Freund. Trink lieber noch einen bei uns. Wird schon eintrudeln, dein Freund."
„Wer weiß, hat sich vielleicht schon volllaufen lassen, daß er nicht mehr piepsen kann. Will hier nicht bis übermorgen sitzen. Damn't, wenn ich nur wüßte, wo ich das Lokal suchen soll. Hier, nimm Geld ..."
Die Blasse kramte nach kleinem Wechselgeld. Cary sagte großzügig:
„Quatsch, laß stecken. Wie heißt bloß die Bude, die ich suche? Formaso, Furunkel, Foxtrott . . . Nee, ‘ne Göttin war's. Fortuna? Ja, so was Ähnliches."
„Ach so, halt mal, ,Fortune' —"
Die dürre Frau klatschte sich vor ihre vielfach längs und quer zerknitterte Stirn.
„Richtig, Fortune — drei Straßen weiter von hier, unten auf der Torrington-Causy, da gibt's eine Kantine. Soviel ich weiß, wird sie von einer dicken Schlampe betrieben, die sich mit Madam Fortune anreden läßt. Vielleicht ist es das, was du suchst?"
„Haargenau! Danke, Muttchen —"
Cary stahl sich davon. Er hatte sich eingeprägt: Little-Port — Torrington-Causy . . .
*
Madam Fortunes Kantine war nur ein einstöckiger Bau; er lag am Ufer der Themse, zwischen dem Fluß selbst und dem Regents-Dock. Madam selbst war das akkurate Gegenteil von dem spindeldürren Gerippe aus dem „Littel-Port". Ihr Körperumfang hatte ungewöhnlich große Ausmaße. Doch ihre fast sechs Fuß hohe Figur wirkte keineswegs plump. Ihr Gesicht war sympathisch. Es thronte in der Kantine hinter der Theke. Sofort faßte Cary Vertrauen zu dieser Frau. Was sich vor seinem Eintreten an einem der wenig besetzten Tische zugetragen hatte, konnte er nur ahnen, als er kurz der Auseinandersetzung lauschte, die zwischen zwei Männern stattfand und nun in Tätlichkeiten auszuarten drohte. Mit einer Gewandtheit, die man Madam Fortune nicht zugetraut hätte, war sie hinter der Theke hervorgeeilt. Sie mischte sich furchtlos ein, rüttelte die beiden Streithähne.
„Boys, sofort auseinander!" Ihre Stimme übertönte das Gekeife der Männer. Sie meuterten.
Madam Fortune erteilte ihnen mit ruhiger Stimme eine Lektion.
„Bei mir wird sich nicht geprügelt. Wenn ihr euch das Fell über die Ohren ziehen wollt, dann erledigt das draußen. Kühlt euch ab. Der Fluß ist nicht weit. Hier bei mir gibt es so etwas nicht. Wenn ihr euch vertragen habt, könnt ihr wiederkommen."
Wie zwei begossene Pudel schlichen die Männer davon.
Cary hatte sich inzwischen an die Theke gestellt, er empfing die zurückkehrende Besitzerin der
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