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Die Schattenträumerin

Die Schattenträumerin

Titel: Die Schattenträumerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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begannen.
    »Am nächsten Morgen, bei Sonnenaufgang, wurde die Leiche deines Großvaters in einem Kanal in der Nähe des Antiquariats gefunden. Aber ich konnte nie beweisen, dass Baldini etwas mit seinem Tod zu tun hatte.«
    »Und was hat Baldini gesagt, was an jenem Abend geschehen ist?«, hakte Francesca nach.
    »Er hat bei der Polizei angegeben, dass Leonardo nie bei ihm angekommen sei. Leider war niemand aufzufinden, der etwas anderes bezeugen konnte. Baldini hat behauptet, dass er und Leonardo nie gemeinsam nach einem seltenen Buch gesucht hätten – da müsste ich etwas missverstanden haben.« Fiorellas Hände ballten sich zu Fäusten. »Dieser elende Lügner! Aber die Zeit wird kommen, in der ich die Wahrheit ans Licht bringen werde. Deswegen lasse ich ihm seit Jahren von Stella das Mittagessen fast umsonst in sein Antiquariat liefern. Ich will ihn im Auge behalten.«
    Francesca schüttelte zweifelnd den Kopf. Baldini sollte ein Mörder sein? Das konnte sie nicht glauben. Sicher, der alte Mann war vielleicht etwas schrullig, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass er jemanden hätte umbringen können.
    »Und was meinte die Polizei dazu?«, bohrte sie weiter.
    Fiorella schnaubte auf. Sie schien nicht sonderlich viel von der Polizei zu halten. »Da es ein kalter, düsterer Winterabend war und die Brücken vereist waren, ging die Polizei davon aus, dass er ausgerutscht und in einen Kanal gefallen sei. An seinem Leichnam fand man keine Verletzungen, die nicht auch von einem schlimmen Sturz hätten verursacht werden können.«
    Francesca hatte das untrügliche Gefühl, dass ihre Großmutter ihr noch nicht die ganze Wahrheit verraten hatte. »Er ist einfach so ausgerutscht?« Die meisten Brücken in Venedig hatten ein Geländer oder eine Mauer, sodass man selbst bei Glatteis nicht so ohne Weiteres in einen Kanal fallen konnte.
    Fiorella zögerte einen Moment. Was sie nun sagte, war ihr sichtlich unangenehm. »Nun, bevor er zu Baldini gegangen ist, hat Leonardo anscheinend in der Osteria bei uns um die Ecke reingeschaut und eine Runde für seine Freunde ausgegeben. Nach seinen Blutwerten zu urteilen, war er danach nicht mehr ganz nüchtern«, räumte Fiorella widerwillig ein. »Dein Großvater hat vielleicht das ein oder andere Mal zu tief ins Glas geschaut, aber deswegen war er noch lange kein Trinker, so wie die Polizei behauptet hat.«
    Francesca starrte ihre Großmutter mit geöffnetem Mundan und war nicht in der Lage, etwas zu sagen. In all den Jahren hatte Fiorella ihren verstorbenen Mann wie einen Heiligen verehrt und keiner in der Familie hatte je gewagt, ihr in diesem Punkt zu widersprechen. Was Francesca jedoch nun von ihr erfuhr, brachte dieses Bild gehörig ins Wanken. Auch ihre Großmutter schien dies zu bemerken.
    »Es war nicht seine Schuld. Der Alkohol hat ihm nur geholfen, zu vergessen und die Nächte erträglicher zu machen«, verteidigte sie ihren Ehemann inbrünstig. »Der Fluch hat ihn dazu getrieben!«
    Francesca fuhr sich erschöpft über das Gesicht. Wenn ihr Großvater tatsächlich betrunken gewesen war, als er zu Baldini aufbrach, war es auch in ihren Augen sehr viel wahrscheinlicher, dass sein Tod nur ein bedauerlicher Unfall gewesen war. Wie kam ihre Großmutter nur auf die fixe Idee, dass der beste Freund ihres Großvaters ihn ermordet hatte? Fiorella hatte nicht einen einzigen Beweis für ihre Anschuldigung. Niemand konnte bezeugen, dass Baldini gelogen hatte und Leonardo in Wahrheit doch im Antiquariat angekommen war – und vielleicht hatte Fiorella wegen des seltenen Buches tatsächlich etwas missverstanden. Nur mit Mühe konnte Francesca einen Seufzer unterdrücken. Ihre Großmutter hatte sich hier eine vollkommen absurde Geschichte zusammengesponnen und Francesca hatte keine Ahnung, wie sie Fiorella wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbringen konnte.
    »Was hat denn jetzt der Fluch damit zu tun?«, fragte sie mit matter Stimme.
    »Zwar ist unsere ganze Familie vom Unglück verfolgt,doch der Fluch trifft insbesondere alle Erstgeborenen der Medici-Familie. Zuerst dachte ich, dass Luca als mein erstgeborener Enkel den Fluch zu tragen hätte, aber er zeigte keinerlei Anzeichen. Der Fluch hat jemanden erwählt, der den Namen Medici trägt.«
    Es dauerte einen Moment, bis Francesca begriff, was ihre Großmutter ihr damit zu sagen versuchte. »Du meinst, der Fluch liegt nun auf mir?«
    Fiorella nickte schweigend. Zum ersten Mal ließ der Anblick ihrer milchigen, ausdruckslosen

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