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Die Schattenträumerin

Die Schattenträumerin

Titel: Die Schattenträumerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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erstgeborene Tochter. Sie hatte die Albträume auch, nicht wahr?«
    Fiorella nickte traurig. »Mit Leonardos Tod haben die Albträume bei Cecilia eingesetzt und sie wurden mit jeder Nacht schlimmer. Ich habe mit ihr zusammen in einem Zimmer geschlafen, doch ich konnte ihr nicht helfen. Zwar bin ich aufgewacht, wenn sie zu schreien begonnen hat, doch egal was ich versuchte, ich konnte sie dem Albtraum nicht entreißen. Leonardo hatte ein Hilfsmittel, wodurch er wenigstens ein paar Stunden ruhigen Schlaf gefunden hat, aber es war nach seinem Tod verschwunden.« Wieder legte sich ein Schatten von Trauer auf ihr Gesicht, als Fiorella weitersprach. »Mit ihrer zarten Haut und den roten langen Haaren schwebte Cecilia wie eine Principessa durch den Palazzo und ihr Lachen war so ansteckend, dass wir sie alle nur »Sonnenschein« nannten. Aber dann kamen die Albträume und plötzlich lachte sie nicht mehr. Sie konnte diese Qualen nicht mehr ertragen. Eines Nachts hat mich der Schlaf übermannt und ich habe nicht bemerkt, wie sie sich aus dem Zimmer geschlichen hat. Sie ist auf das Dach des Palazzos gegangen und hat sich …« Fiorellas Stimme erstarb.Eine stille Träne suchte sich einen Weg durch die tiefen Falten in ihrem Gesicht. Francesca hatte ihre Großmutter noch nie weinen sehen. Ihr wurde plötzlich so kalt, als wäre sie selbst es gewesen, die sich vom Dach des Palazzos in den Tod gestürzt hatte.
    Francesca schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken zu vertreiben. So etwas durfte sie nicht denken! Sie musste sich ablenken.
    »Was für ein Hilfsmittel besaß denn Großvater?«
    »Er hat es von seinem Vater erhalten und es immer wie einen Schatz bei sich getragen. Sein Vater ist im Krieg gefallen, als Leonardo noch ein Kind war, aber er hat ihm damals von der Front noch einen letzten Brief geschickt. Moment, ich habe ihn mitgebracht.« Sie öffnete ihre Handtasche und ihre Finger tasteten einen Moment lang suchend darin herum.
    »Ich hoffe, es ist der richtige Brief, den ich aus der Schublade gezogen habe.«
    Francesca nahm ein vergilbtes Papier entgegen, das vom vielen Falten und Lesen brüchig geworden war. Die Buchstaben waren von einer zittrigen Hand geschrieben und teilweise verwischt, als ob Tränen daraufgefallen wären.
    Leonardo, mein geliebter Sohn,
    wenn dich dieser Brief erreicht, werde ich diese Welt schon verlassen haben. Ich wünschte, ich könnte dir mehr vererben, doch du wirst noch erkennen, dass das, was ich diesem Brief beigefügt habe, noch von großem Wert für dich sein wird. Es schmerzt mich, dass ich dir dies schreiben muss, doch auchdich, mein kleiner, unschuldiger Leonardo, wird der Fluch unserer Familie treffen: Im Moment meines Todes werden bei dir Albträume beginnen, die einem nächtlichen Besuch in der Hölle gleichkommen. Je älter du wirst und je mehr du dem Kindesalter entwächst, umso schlimmer werden die Albträume sein. Nur diese Traumgondel kann dir helfen, sie erträglicher zu machen. Ich habe sie von meinem Vater im Augenblick seines Todes bekommen. Angeblich ist sie schon seit Jahrhunderten in Familienbesitz und wurde von einem venezianischen Geisterseher hergestellt, der in Kontakt mit höheren Wesen aus einer anderen Welt stand. Zwar weiß ich nicht, ob dies der Wahrheit entspricht, doch in all den Jahren war die Gondel das Einzige, was mir gegen die Träume geholfen hat. Pass gut auf sie auf, mein Sohn!
    Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit miteinander gehabt!
    In Liebe,
    dein Vater
    Lange starrte Francesca auf den Brief ihres Urgroßvaters. Er beseitigte die letzten Zweifel, die sie noch gehabt hatte. Jedes Wort, das Fiorella ihr gesagt hatte, entsprach der Wahrheit.
    Mit klopfendem Herzen glitten ihre Finger in die Jackentasche. Die Gondel war noch da! Nun, da sie wusste, wie wichtig sie war, würde Francesca sie nicht mehr aus den Augen lassen.
    »Das hier hatte Leonardos Vater dem Brief beigelegt, nicht wahr?« Francesca legte die Traumgondel vorsichtig in die Hand ihrer Großmutter.
    Fiorella wurde blass. Ungläubig betasteten ihre Finger das schwarz polierte Holz. »Wo hast du sie her?«
    »Von Baldini. Er hat sie mir gegeben, als ich ihm heute Mittag das Essen gebracht habe«, erzählte sie. »Deswegen hast du mich doch zu ihm geschickt, oder? Du hast gehofft, dass wir miteinander ins Gespräch kommen und ich etwas herausfinde!«
    Fiorella presste beschämt die Lippen aufeinander.
    »Nun ja, vielleicht«, gab sie zu. »Ich hätte es natürlich nie getan, wenn es für

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