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Die Schattenträumerin

Die Schattenträumerin

Titel: Die Schattenträumerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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Fünf tiefe Linien zogen sich durch die schwarz glänzende Oberfläche, als ob ein riesenhaftes Tier seine Krallen darin versenkt hätte. Mit was für einer Waffe konnte man denn solche Kratzspuren hinterlassen?Als Francesca mit den Fingerspitzen über das gesplitterte Holz fuhr, überlief sie ein kalter Schauer.
    Baldini, durchzuckte es sie plötzlich, wo war nur der alte Mann? Hastig erhob sie sich und sah sich suchend um.
    »Signore Baldini?« Ihre Stimme durchschnitt unangenehm laut die Stille. »Wo sind Sie? Ist alles in Ordnung?«
    Nicht weit von ihr entfernt erklang ein Stöhnen. Hektisch stolperte Francesca über den Bücherberg in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Sie stoppte abrupt und schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund.
    »Sant’Iddio!«, flüsterte sie. »Um Himmels willen!«
    Unter einem umgestürzten Regal im hinteren Teil des Antiquariats lugte ein blutverschmierter Arm hervor.
    »Signore Baldini?«
    Der Arm zuckte als Antwort.
    »Schnell …« Baldinis Stimme war kaum zu hören.
    Francesca stürzte zu ihm. »Einen Moment, ich helfe Ihnen!«
    Mit all ihrer Kraft stemmte sie sich gegen das massive Holzregal. Immer wieder verloren ihre Füße auf dem scherbenbedeckten Boden den Halt, sie rutschte ab und das Regal sank erneut nach unten. Es dauerte quälend lange, bis sie es endlich so weit nach oben gehoben hatte, dass der Antiquar darunter zum Vorschein kam. Als sie aus den Augenwinkeln einen Blick auf Baldini warf, wäre ihr vor Schreck das Regal fast wieder entglitten. Sein Hemd war zerfetzt und über seine Brust zogen sich fünf lange blutige Striemen. Genau wie die Kratzer auf der Gondel, dachte Francesca schockiert.
    Sie gab dem Regal einen letzten, entschlossenen Stoß, sodass es wieder aufrecht an der Wand stand.
    »Mein Herz«, keuchte Baldini, »… kann kaum atmen …«
    Mit schmerzverzerrtem Gesicht presste er seine Hand auf seine linke Seite. Er atmete nur noch flach. Francesca kniete sich neben ihn, nahm ihren Schal ab und presste ihn auf die Fleischwunde. Erleichtert stellte sie fest, dass die Verletzung nicht ganz so tief war, wie sie anfangs angenommen hatte.
    »Was ist passiert?«
    »Er … er hat mich gefunden«, flüsterte Baldini. »Nach all den Jahren … hat er mich gefunden.«
    Seine Mundwinkel flackerten nach oben, doch sein Blick war glasig wie im Fieber. »Aber ich habe mich gewehrt. Er hat es nicht bekommen.«
    Francesca runzelte die Stirn. »Wer hat Sie gefunden?«
    Baldini wandte ihr den Kopf zu. »Er hat es nicht bekommen!«, wiederholte er anstatt einer Antwort und stieß ein irres Kichern aus, das allerdings sofort in einen Schmerzenslaut überging.
    »Ich war vorbereitet … habe Fallen aufgestellt … er hatte hier drin keine Macht.«
    Besorgt musterte sie Baldini. Er schien nicht mehr ganz bei Sinnen zu sein. Kein Wunder, sicherlich stand er nach dem, was er erlebt hatte, unter Schock. Ein Arzt musste dringend nach ihm sehen und die Polizei nach diesem Einbrecher fahnden, der Baldini so brutal überwältigt hatte! Sie holte ihr Handy hervor, doch Baldini packte sie in einer überraschend schnellen Bewegung am Handgelenk.
    »Du … musst es holen, Francesca. Schnell!«
    »Aber Sie brauchen einen Arzt!«
    »Später!« Wie ein Schraubstock umklammerten seine Finger ihr Handgelenk, sodass Francesca das Handy entglitt. »Du musst in das Separee gehen und den Läufer beiseiteschieben.« Er zog eine Kette mit einem kleinen Schlüssel unter seinem Hemd hervor. »Öffne damit das Schloss. Beeil dich!«
    »Aber …«
    »Tu es!«
    Francesca erkannte, dass sie Baldini nicht zur Vernunft bringen konnte. Es war wohl am besten, sie erfüllte seinen Wunsch so schnell wie möglich und holte danach einen Arzt. Widerstrebend nahm sie den Schlüssel entgegen und lief in das Separee. Wieder knirschte das Salz unter ihren Füßen. Hastig schlug sie den Läufer zurück und hielt erstaunt die Luft an. Darunter kam eine kleine Falltür zum Vorschein, die durch ein silbernes Schloss gesichert war. Francesca steckte Baldinis Schlüssel hinein und öffnete die Klappe, die sich für ihre geringe Größe als überraschend schwer erwies. Gleich darauf erkannte Francesca auch, weshalb: Jeder Zentimeter dieses geheimen Verstecks war mit Silber ausgekleidet. In das Edelmetall waren fremdartige Zeichen eingraviert, die Francesca seltsam bekannt vorkamen. Aber sie hatte keine Zeit, sie sich näher anzusehen. Ihre Aufmerksamkeit wurde von dem abgelenkt, was sich

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