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Die Schattenträumerin

Die Schattenträumerin

Titel: Die Schattenträumerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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Wahrheit gesagt hatte. Als sie sah, wie sich Baldinis Gesichtszüge etwas entspannten, wusste sie, wie wichtig ihm diese Worte gewesen waren.
    »Ich hatte Angst, dass ich ins Gefängnis kommen könnte. Deswegen habe ich alle Spuren beseitigt«, fuhr er fort. »Dabei fand ich die Traumgondel hier im Laden. Leonardo musste sie während des Kampfes verloren haben. Ich konnte mich nicht überwinden, sie zu zerstören und sohabe ich sie versteckt. Aber als sich einige Jahre darauf Cecilia umgebracht hat, wusste ich, dass ich es hätte verhindern können. Ich hatte doch nicht geahnt, wie wichtig diese Traumgondel für den Fluchträger ist! Wäre ich nicht so feige gewesen, dann könnte Cecilia jetzt noch am Leben sein.«
    Francesca öffnete den Mund, doch dieses Mal brachte sie kein Wort des Trostes über die Lippen. Baldini hatte recht, wahrscheinlich hätte er Cecilia retten können. Vielleicht trug er an ihrem Tod sogar mehr Schuld als an dem ihres Großvaters. Obwohl sie erst seit zwei Nächten mit der Traumgondel in der Hand geschlafen hatte, wusste sie bereits, wie viel Macht die Gondel im Kampf gegen die Albträume besaß.
    »So viel Blut an meinen Händen«, stöhnte Baldini. »So viel Schuld …« Seine Lider flackerten, sein Atem wurde flacher.
    Himmel, wo blieb nur dieses vermaledeite Krankenboot? Francesca warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und stellte ungläubig fest, dass nicht mehr als fünf Minuten vergangen waren, seit sie angerufen hatte. Es kam ihr vor, als hätte sich die Zeit unnatürlich lange ausgedehnt.
    »Letzte Nacht konnte ich nicht schlafen … Ich bin in den Laden und habe im Necronomicon gelesen … zum ersten Mal …«, keuchte Baldini. Jedes Wort schien ihn unendlich viel Kraft zu kosten. »… wusste nicht, ob Leonardo wegen des Fluches recht hat … wollte nicht noch mehr Schuld auf mich laden … dir helfen …« Seine Stimme versagte.
    »Bleiben Sie ganz ruhig!« Sie bemühte sich, ihre aufsteigendePanik zu unterdrücken. »Der Arzt wird jeden Moment hier sein.«
    Francesca hielt inne und lauschte. Die schrillen Sirenenklänge der Ambulanz wurden mit jeder Sekunde lauter. »Hören Sie die Sirene? Halten Sie durch!«
    »Deswegen hat er mich gefunden …«, murmelte er benommen. Plötzlich wurde Francesca klar, dass der Arzt zu spät kommen würde.
    »Wer? Wer hat Sie gefunden?«, hauchte sie mit erstickter Stimme. Francesca spürte, wie ihr heiße Tränen über die Wangen liefen.
    »Du bist stark genug, zu widerstehen, nimm es an dich … du musst Sicherheitsvorkehrungen treffen, sonst wird es … zu stark …« Seine Stimme war so leise, dass Francesca sich über ihn beugen musste, um seine Worte verstehen zu können. »Niemals … lesen …«
    Baldini schloss die Augen. Sein Kopf kippte zur Seite.
    Die Stille, die sich plötzlich im Antiquariat ausbreitete, war gespenstisch.
    Francesca saß mit hängenden Schultern auf dem Sofa ihrer Großmutter und hielt ein Kissen fest an sich gepresst. Vor den Fenstern versteckte sich Venedig unter einem Vorhang aus Dunkelheit, doch Francesca konnte noch nicht schlafen gehen. Nicht nach dem, was geschehen war. Sie kniff die Augen zusammen, doch Baldinis Anblick bekam sie einfach nicht mehr aus dem Kopf. Sie hatte sich immer vorgestellt, dass ein Toter so aussähe, als würde er nur schlafen. Doch in Baldinis erschlafften Gesichtszügen lag plötzlicheine Leere, die Francesca ohne Zweifel wissen ließ, dass er nicht nur in einen tiefen Schlaf gefallen war. Wieder kroch diese eisige Kälte in ihr hoch und schüttelte ihren Körper. Fiorella, die geduldig schweigend neben ihr saß, schien es zu spüren und legte tröstend einen Arm um sie.
    Seit der kurzen Vernehmung durch die Polizei hatte Francesca kein Wort mehr über die Lippen gebracht.
    Nur wenige Sekunden, nachdem Baldini gestorben war, waren das Krankenboot und die Polizei eingetroffen. Wie sich schnell herausstellte, litt der Antiquar schon seit Langem an einem schwachen Herzen und jede noch so kleine Aufregung hatte eine Gefahr dargestellt. Aber natürlich warfen die Verwüstung des Antiquariats und Baldinis seltsame Wunden Fragen auf und die Polizei hatte Francesca sofort an Ort und Stelle als Zeugin vernommen. Sie hatte behauptet, dass sie Baldini kaum kannte und er wenige Augenblicke, nachdem sie den Laden betreten hatte, verstorben war. Was im Prinzip auch der Wahrheit entsprach. Trotzdem sagte ihr eine innere Stimme, dass es besser war, das geheimnisvolle Buch, das Baldini

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