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Die Schattenträumerin

Die Schattenträumerin

Titel: Die Schattenträumerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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Jenseits zurückholen.«
    »Oh doch, das Necronomicon kann es. Sie haben es mir gesagt.«
    Fiorellas Fingernägel gruben sich tief in Francescas Arm. Die Hilflosigkeit und der Schmerz trieben ihr die Tränen in die Augen. Was sollte sie tun? Natürlich hätte sie versuchen können, mit ihrer Großmutter zu kämpfen und von ihr loszukommen – aber auch wenn Fiorella im Augenblick nicht bei Sinnen war, so blieb sie doch eine gebrechliche alte Frau. Francesca konnte nicht verantworten, dass sich ihre Großmutter dabei verletzte.
    Fieberhaft suchte ihr Verstand nach einer Lösung. Sie musste Zeit gewinnen!
    »Du tust mir weh, Nonna. Bitte lass mich los!«
    Doch Fiorella ignorierte ihre Worte. Stattdessen verstärkte sie ihren Griff und versuchte, ihre Enkelin nach oben zu zerren.
    »Komm mit, du störrisches Gör!«, zischte sie. »Du tust, was ich sage!«
    »Nein!«
    Francesca klammerte sich mit ihrer freien Hand am Treppengeländer fest. Mit all ihrer Kraft stemmte sie sich gegen ihre Großmutter. Sie presste die Lippen zusammen und die Anstrengung trieb ihr den Schweiß auf die Stirn, doch ihre Finger glitten Zentimeter für Zentimeter vom Geländer ab. Wie konnte ihre Großmutter nur über derart viel Kraft verfügen? In diesem Moment bemerkte Francesca, dass die Schattenfratzen mit ihrem geisterhaften Tanz um Fiorellas Kopf aufgehört hatten und stattdessen ihre nebeligen Schlingen um Fiorellas Arme gewickelt hatten. Das … das war doch nicht möglich. Halfen sie ihr etwa dabei, Francesca vom Geländer loszureißen?
    »Bitte, Nonna, zwing mich nicht, in diesem Buch zu lesen«, flehte sie. »Lass mich gehen!«
    »Ich kann dich nicht gehen lassen. Du musst anfangen, an das Necronomicon zu glauben. Ansonsten …«
    »Ansonsten … was?«, schluchzte Francesca.
    Statt einer Antwort krallten sich Fiorellas Nägel noch tiefer in ihr Fleisch. Francesca spürte, wie ihr das Blut über die Haut lief. Der Schmerz durchflutete ihren Arm und Francesca konnte nur mit Mühe ihre Hand daran hindern, die Kerze fallen zu lassen. Das Licht war im Moment ihreinziger Verbündeter. Im Dunkeln wäre sie der blinden Fiorella mit ihren ausgeprägten Sinnen hoffnungslos unterlegen.
    Francescas Hand rutschte immer weiter vom Geländer ab, dann verlor sie den Halt. Sie taumelte nach vorne, direkt in die Arme ihrer Großmutter. Noch nie hatte sie dies mit so großem Schrecken erfüllt wie in diesem Augenblick.
    »Gianna?«, schrie Francesca verzweifelt auf. »Hallo? Hört mich denn niemand?«
    Fiorella stieß ein grausiges Lachen aus. »Es wird niemand kommen, um dir zu helfen. In der Dunkelheit herrschen sie. Im Dunkeln haben sie die Macht und beeinflussen, was geschieht.«
    Francesca schloss die Augen. Es war vorbei. Sie hatte verloren. Nun würden Fiorella und diese Wesen der Dunkelheit sie dazu zwingen, im Necronomicon zu lesen. Könnte sie sich dann noch gegen die übernatürliche Anziehungskraft des Buches zur Wehr setzen? Wahrscheinlich nicht. Bald wären auch ihre Augen durchzogen von einem schwarzen Nebel und Francesca wäre umringt von schreienden Schattengesichtern … Dieses Buch besaß unvorstellbar viel Macht. Obwohl niemand von ihnen darin gelesen hatte, hatte sich seine bösartige Aura innerhalb weniger Tage wie ein Virus im Palazzo ausgebreitet und nun hatte es seine Schattenwesen als Häscher ausgesandt.
    Sicherlich war Fiorella durch die ständige Nähe des Necronomicons und ihren tiefen Schmerz über den Verlust ihres Mannes und ihrer Tochter ein nicht allzu schweres Opfer gewesen und war den Lockrufen irgendwann erlegen.Aber was würde erst geschehen, wenn Francesca die Worte des Buches laut auszusprechen begann? Sie musste an den letzten Abschnitt denken, den sie sich über das Necronomicon notiert hatte. Öffnete Francesca damit tatsächlich das Portal zu einer Dimension des Bösen? War dieses grauenvolle Wesen, das ihr in Fiorellas Zimmer begegnet war, nur der Anfang gewesen? Im Gleichklang mit dem Hämmern ihres Herzens pulsierte in ihrem Kopf nur ein einziger Gedanke: Dies würde das Ende der Menschheit bedeuten.
    Doch Francesca dachte nicht daran, sich wehrlos zu ergeben.
    »Nonna, du musst wieder zu dir kommen«, brachte sie mit bebenden Lippen hervor. »Du musst gegen die Macht des Necronomicons ankämpfen!«
    Aus einem Impuls heraus griff Francesca in ihre Pyjamatasche. Immerhin besaß sie etwas, von dem sie vermutete, dass es der Kraft des Necronomicons Widerstand bot. Wahrscheinlich hatte sie es nur

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