Die Schattenträumerin
vorlesen.«
Schockiert sah Francesca auf. Nonna hatte Gianna doch nicht etwa … Nein, so etwas durfte sie nicht einmal denken – Fiorella wäre ihr niemals so in den Rücken gefallen!
»Es war kein normales Buch, das habe ich sofort gespürt«, fuhr Gianna zaghaft fort. »Du hältst mich jetzt sicherlich für verrückt, aber irgendwie hat es mir Angst gemacht. Nonna hat mich immer stärker bedrängt, dass ich ihr daraus vorlese. Schließlich hat sie mir vorgeschlagen, das Buch selbst zu halten und umzublättern, während ich ihr dabei nur über die Schulter sehen muss. Also habe ich nachgegeben.«
Gianna hielt inne. Sie warf Francesca einen peinlich berührten Blick zu. »Du glaubst mir das bestimmt nicht, aber … nachdem sie das Buch aufgeschlagen hat, ist etwas daraus hervorgekommen.«
»Eine Art schwarzer Nebel?«
Gianna sank der Unterkiefer herab. »Woher weißt du das?«
»Leider habe ich auch schon Bekanntschaft mit dem Necronomicon gemacht. Du hast recht: Das ist kein gewöhnliches Buch. Hast du trotzdem weitergelesen?«
»Fiorella meinte, ich würde mir das nur einbilden und ich solle gefälligst weiterlesen. Du weißt ja, wie sie sein kann. Ich habe mich nicht getraut, ihr zu widersprechen.« Gianna ließ unglücklich die Schultern hängen. »Doch mit jeder Seite wurde der Nebel dichter. Er erhob sich säulenartig aus dem Buch und zuckte wie eine Schlange hin und her. Er hat sich um Nonna geschlungen, bis sie ganz von ihm eingehüllt war.« Sie sah Francesca mit tränenerfüllten Augen an. »Es hat irgendetwas mit ihr gemacht. Als ich gegangen bin, habe ich gespürt, dass sie völlig verändert war. Ich hätte sie niemals alleine lassen dürfen, das werde ich mir nie verzeihen! Aber in dem Moment war ich nur froh, endlich nicht mehr in diesem Buch lesen zu müssen und aus dem Zimmer rauszukommen. Nonna … sie hat mir Angst gemacht.« Gianna schlug die Hände vor das Gesicht.
»Als ich sie nachts im Flur getroffen habe, hätte ich auch am liebsten die Flucht ergriffen«, gestand Francesca. »Das war nicht mehr unsere Großmutter, sie wirkte wie von einem Dämon besessen. Du musst dir keine Vorwürfe machen! Wenn überhaupt jemand daran Schuld hat, dann das Necronomicon und dieser elende Familienfluch.« Sie schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund, doch es war zu spät. Gianna sah sie mit gerunzelter Stirn an.
»Auf unserer Familie liegt ein Fluch?«
Nun war es Francesca, die zögernd schwieg. Sollte sie Gianna in alles einweihen? Die Versuchung war groß. Aber sie hatte Nonna ihr Versprechen gegeben! Auf der anderen Seite hatte ihre Großmutter Gianna bereits in diese Sache hineingezogen und über das Necronomicon wusste sieauch schon Bescheid. Also holte Francesca tief Luft und begann, Gianna alles zu erzählen – von dem Grund ihrer jahrelangen Albträume, dem Familienfluch, wie Baldini ihr kurz vor seinem Tod das Buch übergeben und ihr gebeichtet hatte, wie es zum Tod ihres Großvaters gekommen war. Natürlich vergaß sie auch nicht, die beunruhigenden Ergebnisse ihrer Recherchen über das Necronomicon zu erwähnen, den Angriff des Monsters in Fiorellas Zimmer und die nächtliche Auseinandersetzung mit Nonna auf der Treppe. Gianna hörte ihr aufmerksam zu und murmelte nur ab und an »Wahnsinn!« oder »Wie schrecklich!«.
Als Francesca schließlich mit ihrer Erzählung am Ende war, fasste Gianna ihre Situation in einem einzigen treffenden Kommentar zusammen: »Wir stecken ganz schön in der Scheiße.«
»Das kann man wohl sagen.« Francesca warf ihrer Cousine einen dankbaren Blick zu. Ihr war nicht entgangen, dass Gianna im Plural gesprochen hatte. Es tat gut, Gianna als Mitstreiterin an ihrer Seite zu wissen. »Was stand eigentlich drin?«, fragte sie.
Gianna blinzelte sie verständnislos an. Sie schien in Gedanken immer noch all die neuen Informationen zu verarbeiten. »Wo drin?«
»Im Necronomicon natürlich.«
»Am Anfang war seitenlang nur die Rede davon, wie großartig, machtvoll und unglaublich toll das Buch ist. Dass es all meine Wünsche wahr werden lassen kann – Reichtum, Ruhm, Macht, Liebe, den Tod eines verhassten Menschen und so weiter«, erzählte Gianna. »Im nächsten Kapitel folgteeine Art Einführung in die Benutzung. So wie ich das verstanden habe – und nebenbei bemerkt, war die Sprache nicht ganz einfach zu verstehen – beschwört man mithilfe des Buches Fluchdämonen. Man muss nur den Namen des besagten Menschen nennen, den passenden Fluch
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