Die Scherenfrau
lieber ein wenig zurück. Doch war es genau diese Euphorie, die sie in Zustände voll Zorn und Anspannung stürzte, die uns so weit auseinander brachten, dass ich ein paar Monate nichts mehr von ihnen hörte. Bis mich eines Nachts Emilio anrief und mich bat, ihm in Rosarios Apartment Gesellschaft zu leisten.
»Sie ist bei ihnen«, sagte er als Erstes, doch schien es ihm nichts auszumachen. Er wirkte abwesend. Wenn er redete, sah man, dass er an etwas anderes dachte, sofern er überhaupt denken konnte.
»Du kannst dir nicht vorstellen, was wir durchgemacht haben«, sagte er, rückte aber nicht damit heraus. Ich merkte, dass er viel von Rosario übernommen hatte. Seine Geheimnistuerei, das Gespür für Gefahr, sein Bedürfnis nach meiner Zuneigung.
»Lass mich nicht allein, Alter«, flehte er mich an. »Bleib hier, bis sie zurück ist.«
Ich blieb nur ungern. Emilio war unerträglich. Wegen jeder Kleinigkeit fuhr er aus der Haut, bei jedem Gespräch verlor er den Faden. Er bat mich, ihm Geld zu leihen, damit er sich Drogen kaufen konnte, und am Ende musste ich ihn dabei begleiten, er konnte keine Sekunde allein bleiben, sogar unter der Dusche musste ich bei ihm sein.
»Du bist ganz schön fertig, Emilio«, konnte ich mir nicht verkneifen. »Wollen wir nicht lieber zu dir nach Hause gehen. Da bist du besser aufgehoben.«
Er antwortete mir mit ein paar Fußtritten, aber danach hängte er sich mir weinend und um Verzeihung bettelnd an den Hals, dass ich doch bitte bei ihm bleiben solle, bis sie zurückkäme. Ich brachte es nicht fertig, ihn allein zu lassen, und es tat mir weh, ihn so zu sehen. Außerdem hatte ich ebenfalls Angst. Ich ahnte, und ich sollte Recht behalten, dass ich früher oder später auch so enden würde.
Drei Tage später tauchte Rosario auf und bat uns, gemeinsam die Stadt zu verlassen. Sie war wütend, doch sie ließ nicht zu, dass wir Fragen stellten. Wir kletterten in ihren Wagen und fuhren los. Emilio war ziemlich nervös, weshalb er lieber hinten sitzen wollte. Ich saß vorn neben Rosario, und obwohl ich sie bat, mich ans Steuer zu lassen, bestand sie darauf, selbst zu fahren. Wenn sie am Steuer sowieso schon nicht ganz zurechnungsfähig war, so hatte sie diesmal jedes Gefühl für Geschwindigkeit, Kontrolle und Regeln verloren. Emilio besaß die Kühnheit zu protestieren.
»Willst du uns umbringen, oder was?!«, sagte er. »Mach langsam, ich bin in letzter Zeit ziemlich nervös.«
Ich rutschte tief in meinen Sitz, klammerte mich daran fest und reckte die Beine, als könnte ich damit bremsen.
Aber das war nicht nötig, denn Rosario bremste so scharf ab, dass Emilio nach vorne flog und zwischen mir und Rosario zu sitzen kam. Sie bremste so scharf, dass der Wagen hinter uns auffuhr, doch Rosario schien der Lärm von berstendem Glas und knirschendem Blech egal zu sein. Dafür aber Emilio nicht, armer Emilio.
»Du bist also sehr nervös, du Jammerlappen!«, schrie sie ihm ins Gesicht. »Warum gehst du dann nicht zu Fuß, vielleicht entspannst du dich dabei?«
»Zu Fuß?«, sagte Emilio. »Führ dich doch nicht so auf!«
»Nein«, sagte sie, »ich führe mich nur wegen dir so auf! Steig endlich aus, du Arschloch.«
»Jetzt übertreib nicht, Rosario«, mischte ich mich ein.
»Entweder du hältst dich da raus, oder du steigst auch aus!«, drohte sie.
Zu allem Unglück tauchte auch noch der Besitzer des aufgefahrenen Wagens auf und klopfte an Rosarios Scheibe. Während sie das Fenster runterkurbelte, machte ich ihm Zeichen, dass er verschwinden solle. Der Mann wusste ja nicht, wem er da hinten drauf gefahren war.
»Also, mein Fräulein, wie einigen wir uns«, sagte er freundlich, »mir scheint nämlich, Sie haben unangemessen scharf gebremst, oder nicht?«
»Unangemessen?!«, sagte Rosario. »Wissen Sie, ich hab gebremst, wie ich Lust dazu hatte, oder gibt es irgend ‘ne Bestimmung, wie man zu bremsen hat?«
»Wer auffährt, zahlt«, sagte Emilio, der immer noch eingeklemmt zwischen uns saß, während ich dem Mann weiter Zeichen machte zu verschwinden.
»Misch dich da nicht ein, Emilio, das ist mein Auto!«, sagte sie. »Also, wolln mal sehen, was Sie uns für Scherereien machen wollen!«, sagte sie zu dem Mann und stieg mit ihrer Handtasche aus dem Wagen, nicht ohne sich vorher zu vergewissern, dass ihre Pistole drin war.
»Rosario!«, schrien wir beide völlig umsonst.
Wir konnten nicht genau verfolgen, was hinten geschah, weil die Heckscheibe zwar gesprungen, aber noch an ihrem
Weitere Kostenlose Bücher