Die Scherenfrau
sobald du dir eine Freundin zugelegt hast.«
»Freundin?«, dachte ich. Nicht einmal sie konnte ich mir in der Rolle vorstellen, es war schon komisch, ich liebte sie mit all meiner Leidenschaft, aber ich konnte sie mir nicht an meiner Seite vorstellen. Nie hatte ich das Wort »Freundin« oder etwas Ähnliches im Kopf, wenn ich an sie dachte. Statt eines Begriffs war Rosario eher eine Vorstellung, die ich mir gemacht hatte. Ohne Rolle, ohne Besitzrecht, etwas so Simples und gleichzeitig so Komplexes wie »Rosario und ich«.
»Was ich nicht begreife, ist diese Manie der Frauen, sich andauernd zu beschweren und sich gleichzeitig schlecht behandeln zu lassen«, warf ich ihr vor.
Sie zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen. Eine abschließende Antwort, ein Verhalten gegenüber Dingen, die man nicht ändern will. Aber ihre Worte hatten mich vernichtet. Sie redete von einer Freundin, die ich mir zulegen würde, die natürlich eine andere wäre, und außerdem behauptete sie, dass ich sie auch beschissen behandeln würde. Sie merkte gar nicht, dass sie mich fertig machte, als sie sich ausnahm. Sie wusste, ich wusste, dass ich anders war, weil sie es mir gesagt hatte, aber sie nahm sich aus, was uns beide fertig machte.
»Das ist keine Manie, Kumpel«, sagte sie, »aber wenn alle sich beschissen verhalten, hat man gar keine Chance, etwas zu ändern.«
»Und ich, Rosario?«, schrie ich in Gedanken, »und ich? Gerade noch hast du behauptet, ich sei anders!«, schrie mein Inneres, ohne dass ich mich getraut hätte, den Mund aufzumachen, um sie zu fragen, um meine Sonderstellung einzuklagen, den Platz, der mir zustand. Ich presste meine Lippen aufeinander, um noch lauter zu schreien, um zu fordern: »Und was ist mit mir, Rosario?!« Ich weiß nicht, ob das, was dann geschah, ein hässlicher Zufall war oder ob sie meinem Schweigen irgendein Echo entnommen hatte, jedenfalls sagte sie, ohne dass ich sie etwas gefragt hätte:
»Du, Kumpel, bist ein Prachtkerl.« Und sie streckte den Arm aus, damit wir die Hände aneinander klatschten.
10
Medelín liegt eingeschlossen zwischen zwei Bergkämmen. Eine topografische Umarmung, die alle am gleichen Ort festhält. Stets träumt man von dem, was hinter den Bergen liegen mag, obwohl es uns schwer fällt, uns von diesem Loch loszureißen. Es ist eine Hassliebe, mit Gefühlen, die denen für eine Frau gleichen. Medellín ist wie eine altmodische Matrone mit zahlreichen Kindern, eine Betschwester, fromm und besitzergreifend, aber auch eine verführerische Mutter, eine Hure, üppig und strahlend. Wer sie verlässt, kehrt wieder zurück, wer abtrünnig wird, widerruft, wer sie beschimpft, entschuldigt sich, und wer sie angreift, bezahlt dafür. Etwas sehr Seltsames geschieht uns mit ihr, denn abgesehen von der Angst, die sie uns einflößt, und der Lust abzuhauen, die jeder einmal hat, und abgesehen davon, dass wir sie schon oft getötet haben, ist Medelín am Ende immer die Siegerin.
»Wir sollten von hier weggehen, Kumpel«, sagte Rosario eines Tages weinend zu mir. »Du, Emilio und ich.«
»Und wohin?«, fragte ich sie.
»Irgendwohin«, sagte sie. »Scheißegal wo.«
Sie weinte, weil die Situation etwas anderes nicht mehr zuließ. Wir drei hatten uns seit einer Weile in dem Häuschen eingeschlossen, wobei wir uns alles reinpfiffen, was man sich reinpfeifen konnte und was wir in die Finger kriegten. Emilio verschlief die Nebenwirkungen der Dröhnungen. Rosario und ich weinten in der Morgendämmerung.
»Diese Stadt bringt uns noch um«, sagte sie.
»Gib nicht ihr die Schuld«, sagte ich. »Wir sind es, die sie umbringen.«
»Dann rächt sie sich eben, Kumpel«, sagte sie.
Rosario war nach einem Wochenende mit den Oberharten ziemlich verstört zurückgekommen und hatte uns gebeten, für ein paar Tage aus der Stadt zu verschwinden. Sie erzählte uns nicht, was passiert war, nicht einmal später, nicht einmal mir. Aber weil ihr Wunsch Befehl war, taten wir ihr den Gefallen und fuhren mit ihr zu dem Häuschen. Auf dem Weg dachte ich, dass Rosarios Jähzorn nichts Neues war. Sie gebärdete sich schon lange so, und obwohl sie Drogen nur ab und zu nahm – »in Gesellschaft«, wie man so sagte –, verband ich ihren Zustand mit einem steigenden Konsum. Ich hatte mich ein wenig distanziert, wie ich es manchmal tat, denn diesmal schien ihre Beziehung zu Emilio auf einem dieser Höhepunkte zu sein, die sich in heftigem Feiern und häufigem Sex entluden. Deshalb zog ich mich
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