Die Scherenfrau
dass er mich anrufen soll«, sagte sie, bevor sie auflegte, als wäre es spontan, als wüsste ich nicht, dass sie mich nur aus diesem Grund anrief.
Und obwohl wir wieder schwach wurden, musste Rosario diesmal mehr Geduld aufbringen, um uns rumzukriegen. Ich war wirklich tödlich verletzt. Nicht durch ihre Waffen, sondern, wie immer, von meinen eigenen Illusionen. Nie zuvor hatte ich mir so etwas mit ihr vorgestellt. Deshalb wurde ich unsanft aus meinen Träumen gerissen, wollte mich von diesem Schlag erholen, und ihre Anwesenheit verletzte mich, anstatt mir bei meiner Genesung zu helfen. Ich ging ihr aus dem Weg, gerade mal so oft, um meine Unterwerfung hinauszuzögern, um ihr deutlich zu machen, dass etwas geschah. Das hilflose Strampeln eines Verliebten, der um Aufmerksamkeit ringt.
»Was ist los mit dir, Kumpel? Früher warst du nicht so.«
Ihre Besorgnis ging über diesen Kommentar nicht hinaus. Aber was konnte ich auch erwarten, wenn ich nie mit der Wahrheit herausgerückt war, wenn meine Dummheit mich so weit brachte, auf das Wunder zu hoffen, dass sie es erriet? Ich hatte genug von allem, besonders von mir selbst. Aber das ist das Problem mit der Liebe: die Abhängigkeit, die Bindung, der Frust, was einen in das Joch zwingt, gegen den Strom zu schwimmen.
Emilio zurückzuerobern, wurde ihr auch nicht leicht gemacht. Seine Familie hatte ihn unter Medikamente gesetzt und in medizinische und psychiatrische Behandlung gesteckt. Sie versuchten, ihn gegen alle Widerstände von Rosario fern zu halten.
»Stell dir mal den Klops vor, den sich mein Papa erlaubt hat«, erzählte er mir damals, »sagt der doch, wenn ich diese Frau wieder sehe, schickt er mich zum Studieren nach Prag.«
»Nach Prag, in Tschechien?«
»Stell dir das mal vor.«
Doch es wurde weder Prag noch sonst ein Ort: Rosario setzte sich wieder einmal durch, zuerst bei mir und dann bei ihm. Wie üblich.
Drohungen und Therapien halfen rein gar nichts. Schlimmer noch, Emilio und mir halfen auch die Erfahrungen mit Rosario nichts, die uns bei diesem Drahtseilakt gefährlich ins Wanken brachten.
Ich weigerte mich, Anrufe entgegenzunehmen, und ging selbst gar nicht ans Telefon, um mich nicht um den Finger wickeln zu lassen. Natürlich hängte sie auf, wenn jemand von meiner Familie dran war. Sie hoffte, das Dienstmädchen, das ihre einzige Verbündete war, würde sich melden. Aber ich blieb hart: »Sag ihr, ich bin nicht da.« – »Sie lässt sagen, dass sie weiß, dass du da bist.« – »Dann sag ihr, ich bin krank.« – »Sie lässt sagen, dass sie weiß, dass du nicht krank bist.« – »Sag ihr, ich bin gestorben!« – »Sie lässt sagen, dass du auf keinen Fall sterben darfst, denn sie kann nicht ohne dich leben.« Und so ging es tagein, tagaus, während sie mich nach und nach weich klopfte. Mit einer Eselsgeduld und Zähigkeit, die ich nicht aufbrachte, denn das war das Erste, was ihr das Leben beigebracht hatte. Bis der Widerstand nachließ: »Sag ihr, ich bin nicht da.« – »Sie lässt sagen, dass sie dich auf dem Friedhof erwartet.« – »Auf dem Friedhof?! Was soll das heißen? Gib sie mir.«
»Hallo! Rosario? Was hast du vor?«
»Kumpel«, sagte sie zu mir, »endlich.«
»Was ist los, Rosario? Was willst du denn?«
»Du musst mich zum Friedhof begleiten, Kumpel.«
»Was bedeutet das? Wer ist gestorben?«
»Mein Bruder«, sagte sie mit trauriger Stimme.
»Was soll das? Dein Bruder ist schon vor einer ganzen Weile gestorben.«
»Ja«, erklärte sie mir. »Aber ich muss hin und die CD wechseln.«
Sie hatte mich angefleht, sie zu begleiten. Es sei der erste Todestag, und sie bringe es nicht fertig, allein hinzugehen.
Friedhöfe lösen bei mir ein ähnliches Gefühl aus wie Achterbahnen: einen köstlichen Schwindel. Die vielen Toten an einem Ort erschrecken mich. Aber es beruhigt mich zu wissen, dass sie ordentlich begraben sind. Ich weiß nicht, worin der Reiz besteht. Vielleicht in der Erleichterung darüber, dass wir noch nicht bei ihnen liegen. Oder im Gegenteil. In dem Bedürfnis zu erfahren, wie man sich dort fühlt.
Der Friedhof von San Pedro ist besonders schön. Sehr weiß und mit viel Marmor, ein traditioneller Friedhof, wo die Toten einer über dem anderen ruhen. Nicht so wie die modernen, die eher wie ein Blumenfeld kitschiger Floristen wirken. Es gibt auch Mausoleen, in denen ganze Familien von Berühmtheiten liegen, die von riesigen Statuen, den Schutzengeln und den Schweigeengeln, bewacht werden.
Rosario
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