Die Scherenfrau
Nachnamen?«, fragte ich ihn völlig verwirrt.
»Na, den von Johnefe, den von Rosario.«
»Ich hab auf keinen Nachnamen geachtet.«
»Du bist vielleicht ein Idiot«, sagte er und packte mich am Kopf. »Das war die Gelegenheit, um endlich Rosarios Nachnamen rauszukriegen.«
»Wozu willst du ihren Nachnamen wissen?«, fragte ich. »Du bist ja wie deine Mutter.«
»Darum geht es nicht«, erklärte er. »Es ist nur irgendwie merkwürdig, wenn man nicht einmal den Namen seiner eigenen Freundin kennt, oder nicht?«
»Rosario Tijeras.«
»Ach, Bruder!«, er gab sich geschlagen. »Warum begleitest du mich nicht einfach dorthin, und ich schau nach.«
»Weil ich dort nicht mehr hingehe«, sagte ich ganz ernst. »Wer in die Nähe kommt, wird umgenietet.«
Ich schlug Emilio vor, Rosarios Tasche zu durchsuchen, wenn er unbedingt wissen wollte, wie ihr Nachname war, und ihren Personalausweis oder irgendein anderes Dokument unter die Lupe zu nehmen.
»Glaubst du vielleicht, darauf bin ich selbst noch nicht gekommen?«, sagte er. »Dir ist bestimmt schon aufgefallen, dass sie ihre Tasche sogar in die Badewanne mitnimmt.«
»Bestimmt wegen der Pistole«, sagte ich.
»Wer weiß, was sie noch da drin hat. Vielleicht wenn sie schläft …«
»Das geht gar nicht. Wo sie einen so leichten Schlaf hat …«
»Und woher willst du wissen, dass sie einen leichten Schlaf hat?«
»Weil ich sie unverwandt angeschaut habe, während sie schlief«, dachte ich, »und ich hab gesehen, wie sich ihre Augen noch bewegten, als sie bereits geschlossen waren. Weil sie sie öffnete, kaum strich ich mit meiner Hand über ihre nackte Haut, um mich daran zu erinnern, dass es vorbei war, dass das mit uns nur eine Nacht war, ein Spiel unter Freunden, ein Ausrutscher von zwei Betrunkenen.«
»So misstrauisch, wie sie ist …«, gab ich zur Antwort und versuchte die Erinnerung zu verscheuchen.
Mir fällt ein, dass sich uns ein paar Tage danach eine Gelegenheit bot. Sie war hinuntergegangen, um bei der Portiersfrau etwas abzuholen, und ließ ihre Tasche in unserer Reichweite. Während Emilio sie durchsuchte, passte ich an der Tür auf den Aufzug auf.
»Wie siehts aus?«, fragte ich von meinem Platz aus. »Was gefunden?«
»Nur Krimskrams«, antwortete Emilio. »Die Pistole, einen Lippenstift, einen Taschenspiegel …«
»Im Geldbeutel, du Idiot! Schau im Geldbeutel nach!«
»Da ist auch nichts«, sagte er. »Ein Bild von María Auxiliadora, eins vom Divino Niño, ein Foto von Johnefe, Sauerei!«
»Was ist los?!«
»Ein Foto von Ferney, Alter!«
»Was ist damit?«
»Was heißt hier, was ist damit!«, antwortete er. »Von ihm hat sie ein Foto, und von mir nicht. Der werd ich was erzählen.«
Ich schloss die Tür des Apartments und verließ meinen Posten. Ich nahm Emilio die Handtasche weg und bat ihn, mich anzuschauen.
»Hör zu, Emilio! Wenn du den Mund aufmachst, wenn du nur ein Sterbenswörtchen sagst, dann sind wir beide tot, kapiert?«
»Aber wieso hat sie noch immer ein Foto von diesem Kerl?«
»Kapiert?«, wiederholte ich eindringlich.
Damit war die Sache erledigt. Emilio musste seine Wut und seine Schnüffelei für sich behalten. Rosario wusste ihr Geheimnis gut zu hüten. Es war unmöglich, mehr in Erfahrung zu bringen, als sie selbst erzählte. Und wenn ich es mir recht überlege, habe ich überhaupt nicht darüber nachgedacht, wo ihre Handtasche jetzt sein könnte, wer sie in dem ganzen Durcheinander in der Diskothek an sich genommen hatte. Vielleicht heben sie sie dort auf, oder die, mit denen sie dort war, haben sie mitgenommen … Aber wenn alle davongelaufen sind, hat man sie vielleicht geklaut. Ob wohl die Pistole noch drin war? Vielleicht haben sie ihr die Tasche abgenommen, um sie zu entwaffnen. Man müsste später rausfinden, was eigentlich passiert ist.
Auf dem Flur herrschte mehr Geschäftigkeit. Ich schaute um mich, vielleicht entdeckte ich ja ein bekanntes Gesicht. Vielleicht den Arzt, der sie operiert hatte, vielleicht Emilio, aber ich kannte lediglich die Nachtschwester, die endlich aufgewacht war. Der Alte dämmerte weiter vor sich hin, und die Uhr stand noch immer auf halb fünf. Ich blickte aus dem Fenster, die Sonne war bereits aufgegangen. Vielleicht würde es heute nicht regnen, aber an einem der nächsten Tage musste ich mir unbedingt eine Armbanduhr kaufen.
13
Eine Woche bevor Ferney ermordet wurde, sahen wir ihn um das Apartment von Rosario streichen, aber er wagte es nicht, hineinzugehen. Er
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