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Die Scherenfrau

Die Scherenfrau

Titel: Die Scherenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Franco
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beherrschen.

12
     
    Ich kehrte wie ein geschlagener Hund mit eingezogenem Schwanz nach Hause zurück. Ich musste nichts sagen. Man konnte es mir vom Gesicht ablesen, und die Lektüre muss wohl sehr dramatisch gewesen sein, denn an Stelle von Vorwürfen bekam ich ein verkrampftes Lächeln und Schulterklopfen, wenn auch nichts davon meinen Kummer linderte. Es war ein Gefühl, als wäre ich mit hoher Geschwindigkeit gegen eine Mauer geprallt und so betäubt davon, dass ich zu keiner klaren Empfindung fähig war. Ich begriff auch nicht die Situation, die dazu geführt hatte, dass ich einen so heftigen Aufprall erleben musste. Ich versuchte die Gedanken zu ordnen, um einen Befund meines Leidens zu erstellen. Aber es war jemand aus der Familie und nicht ich selbst, der ins Schwarze traf, als man beschloss, das Thema auf den Tisch zu packen.
    »Du bist nicht abhängig von den Drogen, sondern von der Scheiße«, sagte dieser Jemand.
    Keine Antwort ist auch eine Antwort. Was hätte ich auch erwidern sollen. Es schmerzte mich, es mir einzugestehen, aber es stimmte. Ich hatte nicht den Mut, sie zu fragen, wie man diese Angewohnheit loswurde, mit welcher Behandlungsmethode und wo man es loswurde, wer mir helfen könnte. Ich dachte, wenn es keinen Platz gab, an dem irgendeine Art von Therapie angeboten würde, war es für die Menschheit höchste Zeit, ihn einzurichten, denn ganz bestimmt war ich nicht der Einzige. Wir sind Millionen von Dreckfressern, die sich in aller Stille kurieren müssen oder, wie es schon so oft geschehen ist, an einer Überdosis Dreck sterben.
    »Für irgendetwas muss diese ganze Scheiße doch gut sein«, tröstete ich mich trotz allem. »Irgendetwas muss doch davon besser werden.«
    Wenn ich die wichtigsten Augenblicke mit Rosario Revue passieren lasse, denke ich, dass ich meine Abhängigkeit nicht losgeworden bin. Hier sitze ich wieder, wie so oft, wenn sie mich brauchte. Nicht mehr so mitgenommen wie früher, aber stets um ihr Schicksal besorgt, als wäre es mein eigenes, falls es das nicht sowieso ist.
    »Du und ich, wir sind Seelenverwandte, Kumpel«, sage sie eines Tages in nachdenklicher Stimmung.
    »Aber wir sind so verschieden, Rosario.«
    »Stimmt, aber komisch ist das schon, nimm Emilio zum Beispiel.«
    »Soll heißen?«, fragte ich sie.
    »Na, wir sind auch verschieden, aber mit ihm ist alles ganz anders, verstehst du mich?«, versuchte sie zu erklären.
    »Ich versteh dich überhaupt nicht.«
    »Anders gesagt, es ist, als wären wir die beiden Seiten einer Medaille.«
    »Ach.«
    »Was heißt hier ach?«, sagte sie gereizt. »Hast du mich nicht verstanden, oder was?«
    Natürlich hatte ich sie verstanden, doch stimmte ich mit ihrer Erklärung nicht überein. Aber wie immer traute ich mich nicht, ihr zu sagen, dass das keine Frage der Ähnlichkeit, sondern der Zuneigung war, und wenn sie Emilio anders wahrnahm, es daran lag, dass ihre Gefühle es auch waren, denn letzten Endes ähnelt man dem, den man liebt. Ich hätte ihr gerne etwas in der Art gesagt, aber schon mein »ach« hatte sie in Harnisch versetzt. Sie ging weg, nicht ohne mir vorher unter die Nase zu reiben, was ich in ihren Augen war.
    »Du wirst langsam richtig bescheuert, Kumpel«, sagte sie. »Mit dir kann man nicht mehr gescheit reden.«
    Wie so oft ließ sie mich stehen, wenn ich kurz davor war, mit einem blödsinnigen Kommentar das zu vertuschen, was ich in Wirklichkeit gerne gesagt hätte. Mit dem erwähnten blöden Grinsen, mit dem ich ein bestimmtes Verhalten entschuldigen wollte und nebenbei eingestand, dass sie Recht hatte.
    »Ich werde nicht langsam bescheuert«, dachte ich, »du hast mich dazu gemacht, Rosario Tijeras.«
    Nachdem sie wieder zu ihnen gegangen war, vergingen ein paar Tage, und sie kam wie immer zurück. Ein Anruf bei Tagesanbruch, die schuldbewussten spröden Sätze, der versöhnliche Tonfall, »Kumpel, mein Kumpel«, eine Begrüßung ohne Fragen und ohne Antworten. Wozu auch, wenn alles bereits gesagt war, wenn nichts sich ändern würde. Rosario legte die Münzen auf den Tisch zurück, die sie beim Hinausgehen heruntergeworfen hatte.
    »Und Emilio?«, fragte sie wie immer am Schluss.
    Ich wusste schon, was kommen würde. Zwei oder drei eher beiläufige Kommentare, »ist irgendwo unterwegs, hab schon lange nicht mehr mit ihm gesprochen«, nur das Nötigste, um weder gefällig noch unhöflich zu sein, lediglich die Worte, die sie veranlassten, Emilio durch mich um einen Anruf zu bitten.
    »Sag Emilio,

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