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Die Scherenfrau

Die Scherenfrau

Titel: Die Scherenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Franco
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zu erinnern. Ich spürte, wie er mich bat, die Augen wieder zu schließen und dorthin zurückzukehren, wo ich Rosario zurückgelassen hatte. Aber ich weiß es nicht mehr. Mit Rosario war es ein ständiges Hin und Her, sodass ich mich nur mit Mühe an alle Einzelheiten erinnern kann. Jetzt möchte ich sie einfach nur wieder sehen, mich in diesen tiefen Augen, in die ich seit drei Jahren nicht mehr geblickt hatte, wieder sehen. Ich möchte ihre Hand drücken, damit sie weiß, dass ich da bin und immer da sein werde. Wenn ich meine Augen wieder schließen würde, dann, um von den Tagen zu träumen, die ich gemeinsam mit Rosario erleben würde, um mir vorzustellen, was sie aus dieser neuen Chance machen würde, um mir vorzustellen, wie ich sie mit ihr teilen würde, bereit, das zu verwirklichen, wozu in einer einzigen Nacht keine Zeit war, diese einzige Nacht, die es wert war, die Augen zu schließen, um sich mit aller Intensität an sie zu erinnern.
    »Du hast mir nicht geantwortet, Rosario«, ich glaube, damit hatte alles angefangen.
     
    Sie war zärtlich und anschmiegsam. Ich weiß nicht, ob es am Alkohol lag oder ob sie einfach so war, wenn sie einen verfuhren wollte. Oder weil ich sie so wahrnahm, wenn ich sie am meisten liebte. Wir waren uns sehr nah. Näher als sonst. Keine Ahnung, ob das auch am Alkohol lag, oder weil ich glaubte, dass sie mich mehr liebte, oder weil ich sie verführen wollte.
    »Antworte mir, Rosario«, ließ ich nicht locker. »Hast du dich schon einmal verliebt?«
    Auch wenn ihr Lächeln manchmal die schönste Antwort sein konnte, wollte ich es genauer wissen. Vielleicht erwartete ich mir von ihren Worten das Wunder, das ich so heiß ersehnte. Mein Name auserwählt unter den vielen, die ihr zur Verfügung gestanden hatten und noch immer standen, doch es sollte meiner sein, als Anerkennung der größten Liebe, die ihr jemand geschenkt hatte. Und wenn mein Name auch aus erkennbaren Gründen nicht auftauchte, wollte ich wenigstens die Gewissheit haben, wer in ihr dieses Gefühl geweckt hatte, das mich umbrachte und das bei ihr nicht zu existieren schien.
    Auch diesmal bekam ich nicht die Antwort, die ich haben wollte. Weder mit meinem noch mit einem anderen Namen verbunden. Ihre Antwort war allerdings eine tödliche Frage, die, wie alles, was von ihr kam, mich zwar nicht umbrachte, aber schwer verwundete. Nicht wegen der Frage an sich, sondern weil ich betrunken und aufrichtig war und den Mut aufbrachte, ihr zu antworten und ihr dabei in die Augen zu schauen, als sie mich fragte:
    »Und du, Kumpel, hast du dich schon einmal verliebt?«

15
     
    Für das letzte Mal, das sie zu uns zurückkam, brauchte sie länger als gewöhnlich. Es waren fast vier Monate, und wir hatten es langsam satt, sie anzurufen und nach ihr zu suchen. Die Zeit wurde mir so lang, dass ich sogar dachte, Rosario wäre für immer verschwunden. Vielleicht hatten die sie in ein anderes Land mitgenommen und wir würden sie gar nicht mehr wieder sehen. In dieser Zeit sprach ich selten mit Emilio. Er hatte mich ein paar Tage nach seinem Wutausbruch angerufen. Es ging so weit, dass ich täglich ihr Foto in der Zeitung suchte, auf denselben Seiten, auf denen das von Ferney erschienen war. Aber das Einzige, was ich sah, waren Nachrichten über die hunderten von Jugendlichen, die in Medellín im Morgengrauen tot aufgefunden wurden.
    Ich entschloss mich irgendwann, Rosarios Abwesenheit zu nutzen, um sie mir endgültig aus dem Kopf zu schlagen. Traurig fasste ich diesen Entschluss, und obwohl ich sie nicht vergaß, merkte ich, dass das Leben wieder anders schmeckte. Natürlich fehlte es nicht an Erinnerungen, Liedern und Orten, an denen ich ihre Anwesenheit spürte, um mir das Leben schwer zu machen. Ich dachte auch, dass es für meinen Vorsatz hilfreich sei, mich ebenfalls von Emilio zu trennen, obwohl ich eh schon vermutete, dass er den gleichen Gedanken hatte. Der Haken an der Geschichte war, dass die guten Vorsätze nicht lange hielten. Nur bis zu jener Nacht, in der mich Rosario wie sonst auch im Morgengrauen anrief.
    Mit ihrem üblichen »Kumpel« holte sie mich aus dem Schlaf und ließ mich innerlich gefrieren. Ich fragte sie, wo sie sei, und sie antwortete, dass sie in ihrem Apartment und gerade erst zurückgekommen sei und mich als Erstes angerufen hätte.
    »Tut mir Leid, dass es so spät ist«, sagte sie, und ich schaltete das Licht an, um auf meinen Wecker zu schauen.
    Ich fragte sie, wo sie die ganze Zeit gesteckt hatte, und

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