Die Schicksalsgabe
Leben, das ich gewählt habe. Da ist kein Platz für eine Ehefrau.«
Er hielt inne und starrte durch die goldenen Flammen des Lagerfeuers auf Ulrika, die in seinen Umhang gehüllt an der Höhlenwand lehnte. Wieder überkam ihn das Gefühl, die Zeit dehne sich zwischen ihnen.
Abrupt räusperte er sich, schaute auf seine Hände, ehe er ihren unwirtlichen Unterschlupf näher in Augenschein nahm. »Diese Höhle erinnert mich an eine Geschichte aus meiner Jugend in Galicien. Ich war damals dreizehn. Es gab da einen Mann, Malachi hieß er, ihm gehörte der größte Weinberg in der Gegend. Er war dick und reich, und meinem Vater zufolge misshandelte er seine Sklaven und seine Tiere. Da fanden mein Bruder Lucius und ich es nur gerecht, immer wieder seine Trauben zu stibitzen, bis er uns schließlich mit der Peitsche verjagte. Eines Nachts schlichen wir uns wieder in seinen Weinberg, erbeuteten jede Menge Trauben und verkauften sie in der Stadt. Prompt beschwerte sich Malachi bei meinem Vater, worauf der uns die Prügel unseres Lebens verabreichte. Dafür, so beschlossen wir, sollte der fette Kerl büßen. Unser Plan drehte sich um eine Höhle, die dieser hier durchaus ähnlich war.«
Ulrika ließ Sebastianus nicht aus den Augen.
»Lucius und ich hoben gleich hinter dem Eingang der Höhle eine Grube aus und füllten sie mit Schweinekot. Dann rannten wir zu Malachis Haus und brüsteten uns unter seinem Fenster lautstark über einen Schatz, den wir in der Höhle entdeckt hätten. Wir bauten darauf, dass er, gierig wie er unserer Meinung nach war, dieser Verlockung nicht widerstehen und uns heimlich folgen würde. Zurück in unserer Höhle und weil wir vermuteten, Malachi würde uns beobachten, schleppten Lucius und ich daraufhin jede Menge Säcke ins Freie, um uns dann zuzurufen, dass wir jetzt genug von dem Schatz geborgen hätten und nach Hause gehen sollten.«
Sebastianus lachte leise. »Wir hielten uns für ungemein schlau und ahnten natürlich nicht, dass Malachi uns durchschaute. Er kam von hinten auf uns zu, brüllte ›Bah!‹, worauf wir erschrocken in die Höhle flitzten – und in der Grube mit dem Schweinekot landeten. Eine Woche lang schrubbte unsere Mutter an uns herum, damit wir den Gestank loswurden. Und Vater verabreichte uns abermals eine Tracht Prügel. Damals konnten Lucius und ich nicht darüber lachen, später umso mehr.«
Sebastianus schüttelte den Kopf. »Ständig habe ich irgendwelche Streiche ausgeheckt, und Lucius als der Jüngere von uns beiden machte einfach mit. Die Nachbarn sprachen nur von ›diesen Gallus-Rabauken‹, wenn von uns die Rede war. Mein Vater musste sich ständig für uns entschuldigen. Insgeheim aber gefiel ihm unsere Frechheit. Wenn er sich unbeobachtet fühlte, grinste er auf eine ihm eigene Art darüber.«
»Erzähl mir mehr über deine Familie«, sagte Ulrika. Offenbar lenkten seine Geschichte und seine Stimme sie, wie Sebastianus gehofft hatte, von ihren düsteren Gedanken ab.
»Wir sind seit Generationen Händler. Das liegt uns im Blut. Meine Vorfahren sind der Länge und Breite nach durch Iberien gezogen und haben den vielen Stämmen, die dort seit Urzeiten leben, Waren geliefert. Als die Römer vor zweihundert Jahren über die Pyrenäen in unser Land kamen, hat sich meine Familie anders als andere nicht gegen sie gestellt, sondern das als Gelegenheit gesehen, ihren Handel auszudehnen. Meine Vorfahren schlossen mit den eindringenden Römern Verträge ab und gingen daran, Geschäftsbeziehungen mit fernen Ländern aufzubauen, indem sie sich die von römischen Legionären angelegten neuen Straßen zunutze machten. Als Julius Cäsar vor etwa siebzig Jahren Iberien vollends eroberte, legte sich meine Familie römische Namen zu und übernahm auch römische Sitten und Bräuche. Wir lernten, perfekt Lateinisch zu sprechen und Freundschaften mit Römern zu pflegen, und als man uns die römische Staatsbürgerschaft anbot, nahmen wir sie freudig an. Galicien, meine angestammte Heimat, liegt an der nordwestlichsten Spitze von Hispanien. Ich besitze dort Land und eine Villa.
Meine drei Schwestern leben dort, mit ihren Ehemännern und Kindern. Seit fünf Jahren habe ich sie nicht gesehen, aber ich schreibe ihnen regelmäßig und schicke auch Geld und Geschenke, obwohl sie selbst wohlhabend sind. Manchmal sehne ich mich sehr nach der Heimat und meiner Familie.«
»Alles, was
ich
an Familie kennengelernt habe, ist meine Mutter«, entgegnete Ulrika, als er schwieg. »Ein Zuhause
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