Die Schicksalsgabe
hatten wir nie, wir waren ständig unterwegs, weil dies meiner Mutter so bestimmt war. Vor sieben Jahren kamen wir nach Rom, aber heimisch habe ich mich dort nicht gefühlt. Ich weiß eigentlich gar nicht, wohin ich gehöre. Ich hatte gedacht, dass ich vielleicht hier …« Sie seufzte. »Es muss schön sein, ein angestammtes Zuhause zu haben, zu wissen, dass es dort noch Verwandte gibt, dass man irgendwann dorthin zurückkommen kann.«
»Irgendwann …« Sebastianus blickte versonnen ins Feuer. Genau das war sein Problem: Einerseits wollte er frei und unabhängig sein und die Welt erforschen, neue Handelsrouten erschließen. Andererseits aber dachte er oft an Galicien und daran, wie es wäre, sich dort niederzulassen, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Da beides nicht miteinander zu vereinbaren war, zog er weiterhin über seine exotischen Handelsstraßen, angetrieben von der Neugier auf unbekannte Länder und dem Ehrgeiz, sich als Kaufmann einen Namen zu machen, der selbst in Rom mit Achtung genannt wurde.
»Meine nächste Reise, sofern mir die Götter geneigt sind«, sagte er, »geht nach China. Das heißt, wenn Kaiser Claudius mir das Kaiserliche Diplom verleiht.« Und wenn es mir gelingt, fügte er für sich hinzu, Badru, Gaspar, Adon und Sahir auszustechen.
Er hatte während der Reise nach Norden zuerst vorgehabt, Gaius Vatinius aufzusuchen und dem General mitzuteilen, wo sich die Rebellen versteckt hielten. Aber dann hatte er gezögert. Mochte auch die Information, die er dem römischen Befehlshaber überbringen könnte, wichtig sein und ihm, Sebastianus, gute Chancen auf das Diplom von Claudius einbringen, so war nicht auszuschließen, dass unter den Aufständischen Mitglieder von Ulrikas Familie waren. Und damit hätte er Ulrika hintergehen müssen, obwohl sie ihm doch vertraute und sich unter seinen Schutz begeben hatte. Da sich Sebastianus stets für einen Ehrenmann gehalten hatte, hatte er sein Vorhaben verworfen und sich gesagt, dass er sich das Diplom dann eben auf andere Weise verdienen müsse.
»Kannst du ohne Diplom nicht nach China?«, fragte Ulrika. »Wird diese Route denn nicht bereits von Kaufleuten bereist?«
»Kein Kaufmann aus Rom ist je bis nach China gelangt. Die Route ist lang und voller Gefahren. Ständig werden Handelszüge von Wegelagerern und Bergvölkern überfallen. Ein Diplom des Kaiserlichen Hofs in Rom garantiert eine gewisse Sicherheit, zumindest bis Persien. Darüber hinaus ist von diesem so weit entfernten sagenhaften Land wenig bekannt.«
Huuuhuuu!
Ulrika fuhr herum, riss die Augen auf.
»Das ist nur eine Eule«, sagte Sebastianus leise und stocherte im Feuer herum. Oder aber ein geheimes Verständigungssignal, schoss es ihm durch den Kopf. Gut möglich, dass die Barbaren die Dunkelheit nutzten, um die Höhle zu überfallen. Er zog sein Schwert in Reichweite zu sich heran.
Ulrika spähte in den finsteren rückwärtigen Teil der Höhle. »Was ist?«, fragte er.
»Mir war, als hätte ich da hinten etwas gehört …«
»Da ist nichts«, gab er nach einem Blick in das undurchdringliche Schwarz jenseits des Feuers zurück und spürte im Rücken den dunklen Wald raunen und wispern.
Ulrika erhob sich, lauschte angespannt in das Dunkel.
Beschwichtigend streckte Sebastianus die Hand aus und berührte sie am Arm. Mit einem Aufschrei fuhr sie herum. »Ich bin’s doch nur«, sagte er.
Ulrikas Blick fiel auf den Talisman um seinen Hals, eine cremefarbene Kammmuschel mit geriffelten Rippen und gewelltem Rand. »Was für eine Bedeutung hat sie für dich?«, fragte sie und nahm wieder Platz.
Mit einem Blick auf die an einer ledernen Schnur befestigte Muschel sagte Sebastianus: »Unweit meiner Heimatstadt steht ein alter Altar. Niemand weiß, wer ihn wann erbaut hat oder welchem Gott er ursprünglich gewidmet war. Seit die Römer da sind, hat jemand ›Jupiter‹ in den Stein geritzt, dabei war er meiner Meinung nach für eine Göttin bestimmt, schon weil er über und über mit diesen Muscheln verziert ist, bekanntlich das heilige Symbol der Göttinnen Ishtar und Mari. Pilger von überall her suchten über viele Jahre hinweg diesen Altar auf, und weil sie jeweils weitere Muscheln hinzufügten, wurde er immer größer und schöner.«
Sebastianus war stolz darauf, von einer Ahnfrau abzustammen, die diesen Altar errichtet hatte. Von dort stammte auch die Muschel um seinen Hals; sie war sehr alt, und da sie möglicherweise von seiner Ahnfrau selbst dort niedergelegt worden
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