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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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war, glaubte er, dass ihr große Kraft innewohnte.
    »Unseligerweise«, fügte er wehmütig hinzu, »wurde der Weg zu dem entlegenen Altar von Banditen unsicher gemacht, die es auf die unbewaffneten Pilger abgesehen hatten. Heute sucht kaum noch jemand den Altar auf. Es steht zu befürchten, dass er eines Tages in Vergessenheit gerät.«
    »Er bedeutet dir wohl sehr viel?«
    Er überlegte, wägte seine Antwort ab. »Vor zehn Jahren betete ich eines Nachts dort, und …« Er hielt inne.
    Lucius
, kam es ihr in den Sinn. Sie hielt den Blick auf Sebastianus gerichtet, sah, wie das knisternde Feuer die bronzefarbenen Spitzen seines Haars beleuchtete, während am Eingang der Höhle finsterster Wald lauerte, ständig an drohende Gefahr mahnend, nicht anders als der unergründliche schwarze Schlund in der Tiefe der Höhle.
    »Vor sechs Jahren«, hob er leise an, und seine grünen Augen reflektierten die tanzenden Flammen, »vor sechs Jahren sollte ich mit mehreren unserer Handelsschiffe eine Ladung Wein nach Zypern begleiten, aber mein Bruder Lucius, der um dieselbe Zeit eine Karawane in Hispanien übernehmen sollte, wusste schon damals um meinen brennenden Wunsch, nach China zu ziehen, und dass ich kurz zuvor in den Besitz neuer Landkarten von den im Osten gelegenen Ländern gelangt war, in die ich mich noch vertiefen musste. Außerdem wollte ich meine Route planen und mich mit Händlern treffen, die gerade aus Ländern zurückgekehrt waren, die auf dem Weg nach China liegen. Deshalb bot Lucius an, mit mir zu tauschen. Unser Vater hätte das nicht gebilligt; da er sich aber gerade in Rom aufhielt, nahmen wir an, dass er von diesem Tausch nichts erfahren würde. Also begleitete Lucius die Schiffe nach Zypern – und ging während eines Sturms auf hoher See unter.«
    Er fingerte an dem goldenen Armreif an seinem Handgelenk. »Ich war in jener Nacht beim Muschelaltar«, sagte er, »als sich ein Sternenregen vom Himmel ergoss. Eis und Gestein, nicht größer als Sandkörner, bedeckten das Gebiet. Inmitten dieses Sternenschauers sah ich einen einzelnen Stern zur Erde fallen. Ich rannte los, um ihn zu suchen.« Er strich über den kleinen grauen Stein auf dem goldenen Armreif. »Als ich ihn fand, war er noch heiß, kühlte dann aber ab, und ich behielt ihn als Trophäe, ein echtes Stückchen von einem Stern.«
    Ein Schatten überflog sein Gesicht, als er gedankenversunken sagte: »Und dann kam der Brief mit der Nachricht von Lucius’ Tod. Da der Schreiber des Briefs das genaue Datum erwähnte – den zehnten Tag des Monats, der nach Julius Cäsar benannt ist – und ich feststellte, dass ich genau an jenem Tag das kleine Stück von dem Stern gefunden hatte, wusste ich, dass es ein Zeichen meines Bruders war. Weil mir aber gleichzeitig bewusst wurde, dass ich meinen Bruder in einen mir bestimmten Tod geschickt hatte, schwor ich auf die heilige Kammmuschel, zum Gedenken an meinen Bruder diesen Armreif nie mehr abzulegen.«
    »Was für eine traurige Geschichte«, sagte Ulrika. Unvermittelt setzte sie sich kerzengerade hin. »Hast du das gehört?«
    »Was gehört?«
    Ulrika lauschte konzentriert. Außerhalb der Höhle herrschte tiefe Nacht, nicht einmal der Mond zeigte sich. Sie wandte den Blick zum anderen Ende der Höhle, die ebenfalls in Dunkelheit getaucht war. »Wir sind nicht allein«, flüsterte sie. »Jemand ist hier drin.«
    »Unmöglich«, erwiderte Sebastianus. »Es gibt keinen zweiten Zugang.«
    »Aber da hinten in der Höhle
ist
jemand. Ganz bestimmt.«
    Sebastianus wand einen Zweig mit vertrocknetem Laub um das Ende eines Stocks, und mit dieser provisorischen Fackel suchte er, gefolgt von Ulrika, den rückwärtigen Teil der Höhle ab. Aber das Licht fiel nur auf kahle Felswände, steinigen Boden und die Höhlendecke, die so niedrig war, dass sie die Köpfe einziehen mussten. Ein Schlupfloch in die Höhle hinein war nicht zu entdecken, also konnte sich auch kein ungebetener Störenfried Zutritt verschafft haben.
    »Hab ich’s nicht gesagt?«, sagte Sebastianus. »Da ist niemand.«
    »Sieh doch mal!« Ulrika deutete auf die Felswand, und als Sebastianus mit der Fackel näher herantrat, schien diese plötzlich zum Leben zu erwachen. Über und über mit Zeichnungen bedeckt, enthüllte die Wand leuchtend rote und gelbe und braune Darstellungen von Bisons, Rehen und Wölfen. Auch kleinere Abbildungen waren erkennbar: von Männern mit Speeren, die den Tieren nachstellten oder sie zur Strecke brachten. Alles schien in

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