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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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und die Zukunft der Kinder hatten sie viel Kraft gekostet. Christoph und sein strahlendes Lächeln ließen sie sich wieder so jung fühlen, wie sie tatsächlich war. Sie war doch erst neunzehn Jahre alt! Ihr halbes Leben lag noch vor ihr.
    Anna erwiderte Christophs Lächeln, drückte dankbar seine Hand und ging zurück ins Zelt. Dort legte sie sich neben ihren Sohn. Friedrich wirkte noch im Schlaf besorgt. Die Stirn war gerunzelt; die Augen zuckten unter den geschlossenen Lidern hin und her. Sie strich dem Buben liebevoll das Haar aus der Stirn und legte den Arm um seine schmale Brust. Sie schlief ein, kaum dass ihr Kopf eines der weichen Kissen berührt hatte, obwohl es doch heller Tag war.

     
    Als Anna erwachte, hatte sie das Gefühl, eben erst eingeschlafen zu sein. Sie sehnte sich nach einem Bad, nach ihrem Haus, ihrem Bett. Wo war sie? Was geschah um sie herum? Sie brauchte zwei, drei Herzschläge, um ihre Situation zu erfassen, dann erinnerte sie sich.
    Von draußen hörte sie Stimmen. Christoph sprach mit … dem türkischen Offizier, Mehmed. Leise erhob sich Anna, schlüpfte in ihre Schuhe und schlich sich zum Eingang des Zeltes.
    »Ihr habt Recht«, hörte sie da, »die Versorgungstrosse kommen nur langsam voran. Und die Akindschi haben das ganze Umland in Schutt und Asche gelegt. Die Männer murren. Wir haben noch einen langen Weg nach Hause vor uns. Sie wollen ihn lieber heute als morgen gehen.«
    »Werdet Ihr dann nach dem dritten Sturm abziehen?«, fragte Christoph.
    »Ich bin nicht sicher. Der Großwesir ist entschlossen, Wien zu nehmen.«
    »Aber mehr als drei Stürme müssen Eure Leute doch nicht kämpfen, oder?«
    »Nein. Aber wenn man die Offiziere mit Ehrengewändern und Geschenken überhäuft und den Janitscharen ein Preisgeld für den Kampf verspricht, könnte man sie umstimmen.«
    »Geld, das man nicht zahlen muss, wenn die Janitscharen versagen oder sterben«, sagte Christoph.
    »Die Janitscharen werden nicht versagen«, grollte Mehmed. »Wir werden Graf Salm und seine Männern heute bezwingen. Ein Name ist in aller Munde: Eck von Reischach. Er ist derjenige, der die Landsknechte in die Breschen treibt. Und sie lachen unseren Männern entgegen. Die Janitscharen mögen müde sein und nach Hause wollen. Doch in ein paar Stunden werden wir Wien das Fürchten lehren.«

    »Ja, vermutlich werdet Ihr das«, murmelte der Bannerträger.
    »Und was habt Ihr mit der jungen Frau und ihren Kindern vor? Warum lasst Ihr sie nicht einfach gehen?«
    Anna keuchte vor Erstaunen über diesen abrupten Themenwechsel. Dann legte sie sich vor Schrecken die Hand auf den Mund. Sie war bloß durch eine Zeltplane von den Männern getrennt. Ob sie sie gehört hatten? Doch niemand kam, um sie zur Rede zu stellen.
    »Ihr sagt mir nicht, was ich mit ihr zu tun habe«, knurrte der Offizier. »Ihr seid ein Gast des Sultans. Sie aber gehört nicht dem Sultan.«
    »Ihr habt ohne Zweifel Recht, Herr Mehmed. Ich will Euch nichts vorschreiben. Aber sie ist eine feine Frau, die bloß nach Hause will. Was ist Euer Interesse an ihr?«
    »Sie war ein Unterpfand.«
    Für einen Augenblick, in dem auch Anna die Ohren spitzte, wurde es still. Dann schlug eine Hand die Zeltbahn beiseite. Anna entfuhr ein kurzer Schrei, als Mehmed hereintrat, sie packte und hinauszog. Mit finsterem Blick hielt er sie am Arm. »Du hast gelauscht.«
    »Ihr tut mir weh«, erwiderte Anna. »Bitte, lasst mich los.« Mehmed starrte sie noch einen Moment lang an. Dann gab er nach, und sie rieb sich das Handgelenk. »Was heißt das - ich bin ein Unterpfand gewesen?«
    Mehmed funkelte sie aus dunklen Augen an. Dann hielt er ihr einen Stapel Karten entgegen, der in ein wasserfestes Tuch eingeschlagen war. »Deine Schwester hat ein Kartenspiel mit einem Plan von Wien darauf gegen dein Leben getauscht.«
    Anna sah auf das Spiel. Sie wusste zwar nicht, wie man einen Stadtplan auf Trionfi-Karten unterbringen konnte, aber viel
wichtiger war, dass Madelin versucht hatte, sie freizukaufen. Sie sandte der Schwester einen stummen Dank.
    Die Karten sahen auf den ersten Blick genauso aus wie jene, die Madelin ihr gelegt hatte - das Spiel ihrer Mutter. Wieso jedoch wirkten sie so unversehrt, obwohl sie selbst sie doch hatte verbrennen sehen? War dieses Spiel tatsächlich ein Spiel des Teufels? Hatte er dafür gesorgt, dass beide Seiten sich gegenseitig ausspielten, und doch keiner gewann? Sie erschauerte unter der Befürchtung.
    »Wecke deine Kinder und mach dich bereit«,

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