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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Madelin in seiner Brust wohnen? Er musste aufhören, an sie zu denken. Doch das war leichter gesagt als getan. Eine Rastlosigkeit ergriff ihn, und so machte er sich auf gen Schranne. Pernfuß hätte sicher etwas für ihn zu tun.
    Eine gewaltige Explosion donnerte durch die klare Luft, ließ den Boden beben und Lucas stürzen. Doch er sprang sofort wieder auf die Füße und sah sich um. Fast genau südlich von ihm stand eine riesige Staubwolke über dem Kärntner Tor, die sich rasch ausbreitete. Die Antwort bestand aus vielfachem Krachen der Arkebusen der Hispanier. War der dritte Sturm noch nicht vorbei? Hatten die Osmanen bloß eine Pause eingelegt? Und wie viele Tonnen Pulver hatten sie noch, um die Stadt in die Luft zu sprengen?
    Lucas sah der riesigen Wolke aus Rauch und Staub dabei zu, wie sie sich ausbreitete. Unwillkürlich wanderten seine Gedanken zu Wilhelm Hofer. Was hatte der Mann bei ihrem letzten Gespräch noch gesagt? Er würde in die Richtung des Kärntner Turms graben? Die Vorstellung, was wohl mit dem knurrigen Mann geschehen sein mochte, wenn er eben gerade noch unter der Erde gewesen sein sollte, suchte den Studenten heim. Eine plötzliche Ahnung kroch Lucas in den Nacken und stellte ihm die Haare auf. Seine Beine setzten sich wie von allein in Bewegung.

    Bald rannte er an Sankt Stephan vorbei, einem dünnen Strom von Menschen entgegen, die das Viertel flohen. Er wurde von einem Trupp Reiter überholt, dann kletterte er über die Trümmer eines Gebäudes in eine enge Seitengasse, die ihn westlich des Neuen Marktes nach Süden brachte. Sein Ziel war das Haus der Hofers. Noch mehrere Dutzend Schritte entfernt tauchte er in den Staub der Explosion ein.
    Licht und Geräusche drangen in der Wolke nur noch gedämpft an ihn heran. Die Gebäude hoben sich schemenhaft voneinander ab und verliehen dem Kärntner Viertel einen geisterhaften Zug. Er irrte vorwärts, prallte gegen jemanden, stolperte über einen kopfgroßen Stein. Endlich fand er die Tür zur Werkstatt und riss sie auf. Seine düstere Ahnung verschlimmerte sich, denn mit jeder Stufe die Treppe hinab in den Keller wurde der Staub dichter. Er hob seinen Umhang über den Mund und versuchte, flach zu atmen.
    In dem kleinen Kellerraum herrschte ein Gedrängel und Geschrei. Männer hatten sich Tücher vor die Gesichter gebunden und zogen andere aus zwei der drei Gänge heraus, die hier gegraben worden waren. Der dritte war offenbar weiter hinten eingestürzt. Lucas packte mit an. Er half dabei, die Männer hinauf in die Werkstatt zu bringen, feuchtete ihnen die Tücher an, damit sie die Atemwege besser gegen den Staub schützten, und verband eilig ein paar Wunden. »Wo ist der alte Hofer?«, fragte er jeden, den er traf. Doch niemand wusste so recht, wo der Zimmermann zur Zeit der Explosion gewesen war. »Er war derjenige, der immer wusste, wo alle stecken«, sagte einer.
    Als Lucas oben in der Werkstatt einen Verwundeten, der sich bei dem Beben den Arm gebrochen hatte, auf ein Brett band, hörte er noch immer das Kampfgetümmel von der Mauer beim Kärntner Tor. Offenbar ließen die Osmanen heute nicht locker. Was, wenn sie jetzt auch noch den Neuen Markt oder
den Platz vor der Burg sprengten? Oder gar die Burg selbst? Er hatte gesehen, wie viel Pulver dort gelagert war … Wieder ergriff ihn die Wut. Wenn Madelin bloß sehen könnte, was sie angerichtet hatte! »Los!«, befahl er den beiden Gerichtsknechten, die den Mann zum Lazarett bei Sankt Peter tragen sollten. »Macht einen großen Umweg um die Plätze.«
    »Weg da!« In dem Moment trugen zwei Bergknappen Georg Hofer herbei. Der jüngere Zimmermann war von Kopf bis Fuß mit Erde verkrustet. Lucas trat beiseite und wollte sich anschicken, ihn nach Verletzungen zu untersuchen, doch sobald der Mann auf ein paar Decken neben einer Werkbank zu sitzen gekommen war, schlug er seine Hand weg. »Was tust’ hier, verdammt?«
    »Euer Vater … Wo ist er?«
    »Lass mich in Ruh.«
    »Ich habe die Explosion gehört und dachte … Ich wollte nach Eurem Vater schauen. Er sagte etwas von den Gängen beim Kärntner Turm. Ist er … ist er da unten gewesen?«
    »Jetzt machst’ dir Sorgen, was?«, knurrte der junge Zimmermann, dann lehnte er sich hustend zurück an die Wand. »Jetzt, wo’s zu spät ist?«
    »Zu spät? War er …«
    »Er war in dem verdammten Gang, ja! Sie hatten gerade die Sprengkammer entdeckt. Kurz darauf …« Er winkte zum Keller, wo noch immer der dichte Staub in der Luft hing. Tränen

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