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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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gefährliche Stelle passiert, dann waren sie im Vorteil, denn dann wurde der Gang schmal und niedrig. Sie mit ihrer kleinen Gestalt konnten noch laufen, ihr großer Feind mußte sich aber bücken.
    Endlich war dieses Ziel ihrer Wünsche erreicht. Tief gebückt, kam Dick glücklich vorbei. Sand, welcher auf seinen Händen und Knien kroch, war dicht hinter ihm, als er plötzlich zum Stillstand gezwungen wurde. Ein brutaler Griff hatte seinen Knöchel umfaßt und eine zornige Stimme schrie triumphierend:
    »Hab’ ich dich, Halunke!«
    Fred Moore kannte sich nicht mehr vor Wut. Nichts ließ vermuten, daß der Gang sich plötzlich verengern und niedriger werden würde und er hätte sich fast den Kopf zerschmettert. Seine Stirn war so heftig an das Gewölbe angeprellt, daß der Schlag ihn halb betäubte und er zu Boden fiel. Doch diesem Falle verdankte er seinen Erfolg; er hatte instinktiv die Hand ausgestreckt, um sich zu schützen und damit den Faß des Flüchtlings berührt.
    Sand glaubte sich verloren… Jetzt würde man sich seiner entledigen und Dick weiter verfolgen und auch einholen… Und was würde dann mit Dick geschehen?… Man würde ihn einsperren… vielleicht töten… Das durfte nicht sein, er mußte es um jeden Preis verhindern!…
    Ob Sand wirklich in dieser Reihenfolge überlegte! War es infolge dieser Gedanken, daß er zu dem verzweifelten Rettungsmittel seine Zuflucht nahm? Wer kann es wissen! Viel Zeit zum Nachdenken konnte er nicht gehabt haben, denn das ganze Drama spielte sich vom Anfang bis zum Ende in zwei Sekunden ab.
    Ost scheint es, als ob in besonderen Lebenslagen ein anderes Wesen in uns auftauche, für uns dächte und handelte. Das »zweite Bewußtsein«, wie die Philosophen es nennen, läßt uns oft ganz plötzlich, wenn wir gar nicht daran denken, die Lösung eines Problems finden, die wir lange vergebens gesucht. Ihm verdanken wir die Reflexbewegungen und unwillkürlichen Gesten, welche äußerliche Erregungen hervorrufen. Es ist dieses sogenannte zweite Bewußtsein, das uns plötzlich zu Handlungen hinreißt, deren eigentliche Ursache in uns zu suchen ist, die aber unser Wille nicht klar gewollt hat.
    Sand sah nur eines deutlich vor Augen: die Notwendigkeit, Dick zu retten und den Verfolger aufzuhalten. Das »zweite Bewußtsein« tat das übrige. Seine beiden Ärmchen streckten sich ganz von selbst aus und zerrten an dem schwebenden Block, der das Gewölbe trug, während Fred Moore, die Gefahr nicht ahnend, ihn heftig nach rückwärts riß.
    Der Steinblock gab nach, rutschte hinab und das Gewölbe brach mit dumpfem Krachen zusammen.
    Dick wurde bei dem Geräusch von einem vagen Angstgefühl ergriffen und blieb stehen, um zu lauschen. Aber nichts regte sich mehr. Es herrschte wieder Schweigen, so tief und undurchdringlich wie die Finsternis, in der er vorwärts eilte. Er rief Sand, erst leise, dann lauter… und noch lauter… Als er keine Antwort erhielt, lief er zurück, mußte aber vor den angehäuften Felstrümmern haltmachen, welche ihn am weiteren Vordringen hinderten. Er verstand nun alles! Das Gewölbe war eingestürzt und Sand lag darunter begraben…
    Einen Augenblick lang stand Dick ganz regungslos da, wie vom Schlage gerührt, dann rannte er davon und als er das Tageslicht über sich sah, stürzte er den Abhang wie ein Wahnsinniger hinab.
    Der Kawdjer war mit Lesen beschäftigt, ehe er sich zu Bette begab, als die Tür des Regierungsgebäudes heftig aufgerissen wurde. Eine Art Kugel, aus der unartikulierte Worte und Schreie hervorkamen, wand sich zu seinen Füßen. Nach dem ersten Erstaunen erkannte er Dick.
    »Sand… Gouverneur!… Sand!« stöhnte er.
    Der Kawdjer blickte ernst auf ihn nieder.
    »Was bedeutet dies… Was gibt es?«
    Aber Dick schien nicht zu hören. Er blickte ihn ganz verständnislos an, mit unstetem Blick; die Tränen rollten ihm über die Wangen und aus seiner heftig arbeitenden Brust kamen zusammenhangslose Worte:
    »Sand… Gouverneur!… Sand… keuchte er und faßte den Kawdjer an der Hand, als ob er ihn fortziehen wollte. In der Grotte… Dorick… Moore… Sirdey… Die Bombe… Kopf abschneiden… Und Sand… zerschmettert!… Sand… Gouverneur!… Sand«…
    Trotz ihrer Zusammenhangslosigkeit waren die Worte klar verständlich. Etwas Außergewöhnliches mußte sich in der Grotte ereignet haben, etwas, wobei auf irgendeine Weise Dorick, Moore und Sirdey beteiligt waren und Sand zum Opfer gefallen war. Aus Dick waren genauere Mitteilungen jetzt

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