Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
sperrten die Straße in der Richtung nach Liberia zu ab. Jetzt waren die Patagonier eingeschlossen: rechts dräuten unübersteigbare Felsen, vor ihnen standen die Bauern, die infolge ihrer großen Anzahl sehr zu fürchten waren, links blitzten Gewehrläufe aus der Palisade und hinter ihnen stand der Kawdjer mit seinen Leuten. Die Patagonier verloren den Mut und warfen ihre Waffen zu Boden. Ohne alles Blutvergießen wurden sie gefangen genommen. An Händen und Füßen gebunden brachte man sie in eine Scheune, vor deren Türe Wachen gestellt wurden.
Das war wohl gelungen! Die Eindringlinge hatten nicht nur über hundert Männer verloren, sondern ebensoviele Gewehre, und obwohl diese von minderer Qualität waren, bereicherten sie doch den Waffenschatz der Hostelianer. Jetzt besaßen sie dreihundertundfünfzig Feuerwaffen und sechshundert standen ihnen gegenüber. Die Verteilung war fast eine gleiche.
Die bei Rivière versammelte Garnison konnte dem Kawdjer über den Weitermarsch der Patagonier Bericht erstatten. Sie hatten am Morgen nur schüchterne Versuche gemacht, durch die Palisaden einzudringen; nach den ersten Schüssen hatten sie den Versuch aufgegeben, ihrerseits ein paar Schüsse abgefeuert und waren, ohne einen ernstlichen Angriff zu unternehmen, davongeritten. Diese Patagonier mochten vielleicht Krieger sein, aber vom Kriegführen verstanden sie nicht viel. Ihr Ziel war Liberia, darauf gingen sie los, unbekümmert darum, ob sie unbesiegte Feinde hinter sich ließen.
Nachdem man so glücklich gewesen war und Gefangene gemacht hatte, wollte der Kawdjer nicht fortgehen, ohne sie um ihre Absichten befragt zu haben. Er begab sich daher zu ihnen.
In der Scheune, in die sie geschafft worden waren, herrschte tiefes Schweigen. Sie kauerten an der Mauer, diese hundert Menschen, und erwarteten mit wilder Resignation ihr Schicksal. Sie würden als Sieger die Besiegten zu Sklaven gemacht haben; jetzt waren sie die Besiegten und erwarteten das gleiche Schicksal. Nicht einer von ihnen schien den Eintritt des Kawdjer zu bemerken.
»Spricht einer von euch spanisch? erkundigte er sich mit lauter Stimme.
– Ich, sagte einer der Gefangenen, den Kopf erhebend.
– Dein Name?
– Athlinata.
– Was suchst du in diesem Lande?«
Der Indianer blieb ganz bewegungslos und sagte:
»Den Krieg.
– Warum sucht ihr Krieg mit uns? fragte der Kawdjer. Wir sind nicht eure Feinde.«
Der Patagonier verharrte in Schweigen und so fuhr der Kawdjer fort:
»Niemals sind deine Brüder auf diese Insel gekommen. Warum haben sie jetzt diesen weiten Weg gemacht?
– Der Häuptling hat befohlen, sagte der Indianer ruhig, und die Krieger haben gehorcht.
– Aber was ist denn euer Ziel? fragte der Kawdjer fort.
– Die große Stadt im Süden, antwortete der Gefangene. Dort gibt es viele Reichtümer und die Indianer sind arm.
– Aber diese Reichtümer muß man erst nehmen, erwiderte der Kawdjer, und die Bewohner der Stadt werden sie verteidigen.«
Der Patagonier lächelte spöttisch.
»Du und deine Brüder sind ja letzt schon gefangen, fügte der Kawdjer als Beweis
ad hominem
bei.
Der Indianer ließ sich nicht aus der Fassung bringen.
»Die patagonischen Krieger sind zahlreich; sagte er. Die anderen werden in die Heimat zurückkehren und deine Brüder werden neben ihren Pferden herlaufen!«
Er erstickte einen Schrei. (S. 399.)
Der Kawdjer zuckte die Achseln.
»Du träumst, mein Lieber, sagte er, nicht einer von euch wird nach Liberia hineinkommen.«
Der Patagonier hatte nur ein ungläubiges Lächeln zur Antwort.
»Du glaubst mir nicht? fragte der Kawdjer.
– Der weiße Mann hat es uns versprochen, sagte der Indianer voll Überzeugung. Er wird die große Stadt den Patagoniern geben.
– Der weiße Mann? fragte der Kawdjer erstaunt.
– Lebt denn ein Weißer bei euch?«
Aber alle Fragen waren umsonst. Der Indianer hatte alles gesagt, was er wußte, mehr Einzelheiten waren von ihm nicht zu erfahren.
Der Kawdjer zog sich nachdenklich zurück. Wer war dieser Weiße, der an seiner Rasse zum Verräter wurde und sich gegen seine Stammesbrüder mit einer Rotte von Wilden verband? Das war ein neuer Grund zur Eile. Obwohl Hartlepool genau die erhaltenen Weisungen befolgt und alles Nötige getan haben würde, war es vielleicht doch gut, der Garnison von Liberia eine Verstärkung zuzuführen.
Gegen acht Uhr abends setzte man sich in Bewegung. Die von dem Kawdjer befehligte Truppe zählte jetzt einhundertfünfundsechzig Mann,
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