Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Reiterstückchens dachten die Hostelianer nicht. Für sie handelte es sich um Leben und Tod! Sie dachten nur eines: laden, zielen, abdrücken; dann laden, zielen, abdrücken und so fort, ohne eine Sekunde der Unterbrechung. Die Läufe in ihren Händen fühlten sich schon ganz heiß an, sie schossen aber noch immer. Im Eifer der Schlacht ließen sie alle Vorsicht beiseite, traten hinter ihren natürlichen Schutzwällen hervor und boten sich dem Feind als Zielscheibe dar. Er hätte jetzt leichtes Spiel gehabt, wenn er sich zum Schießen Zeit genommen hätte.
Aber bei ihrem Vorbeirasen konnten die Patagonier nicht daran denken, von einer Waffe Gebrauch zu machen; ihr einziges Streben ging dahin, so schnell als möglich aus dem Bereich der todbringenden Kugeln zu kommen, ungeachtet der vielen Opfer, die dieses Manöver erfordern mußte.
Endlich hatten sie den Engpaß passiert und als die Kugeln nicht mehr um ihre Ohren pfiffen, verlangsamten sie den Gang ihrer Pferde und folgten der in Serpentinen abfallenden Straße in gemächlichem Trab. Ringsherum war alles ruhig. Hie und da fiel ein vereinzelter Schuß aus der Höhe, wenn die Straße an Felswänden vorüberführte, verfehlte aber meistens sein Ziel. Die Patagonier beantworteten den Gruß mit gleicher Münze und ritten weiter.
Durch die Erfahrung belehrt, verfielen sie nicht in den Fehler des letzten Abends, wo sie ihr Lager in einer zu geringen Entfernung vom Kampfplatz aufgeschlagen hatten. Bis spät in die Nacht setzten sie ihren Abstieg fort und schlugen erst das Lager auf, als sie die Ebene erreicht hatten.
Das war ein harter Tag für sie gewesen. Sie hatten fünfundsechzig Kilometer zurückgelegt, fünfunddreißig von der Höhe des Passes an gerechnet. Zu ihrer rechten Hand schlugen die Wogen des Stillen Ozeans auf den sandigen Strand auf, links breitete sich flaches Land aus, hier waren keine Überraschungen mehr zu befürchten. Liberia war noch dreißig Kilometer entfernt, morgen mußte es erreicht werden.
Jetzt war es dem Kawdjer unmöglich, den Patagoniern nochmals vorzukommen. Erstens eignete sich das Terrain nicht mehr dazu und zweitens trennte ihn eine zu große Entfernung von den Feinden. Auf seinen Befehl stand man von der unnützen Verfolgung ab und lagerte sich auf die kalte Erde, um unter dem mit Sternen besäeten Himmel einige Stunden der Ruhe zu suchen, die man sich nach der Ermüdung dreier aufeinanderfolgender Nächte wohl verdient hatte.
Der Kawdjer hatte keine Ursache, mit dem Resultat seiner Taktik unzufrieden zu sein. Am letzten Tage hatten die Feinde fünfzig Pferde und wenigstens fünfzig Mann verloren. Die wilde Horde würde demnach Liberia moralisch niedergedrückt betreten und hundert Kämpfer weniger in ihren Reihen zählen. Auch würde sie nicht mühelos eindringen können, wie sie vielleicht erwartete.
Am nächsten Morgen ließ man die Pferde kommen, sie trafen aber erst gegen Mittag ein. Jetzt verwandelten sich die Schützen wieder in Reiter und traten, zweiunddreißig Köpfe stark, den Heimweg an.
Nichts hinderte sie am raschen Vorwärtseilen, Vorsicht war nicht mehr geboten, man war durch die längs der Straße verborgenen Kolonisten, welche den Feind im Vorbeireiten begrüßt hatten, beruhigt und wußte, daß die Patagonier weitergeritten waren und man keine Gefahr lief, plötzlich mit dem Nachtrabe ihrer Kolonne zusammenzutreffen.
Um drei Uhr erreichte man ihren Lagerplatz. Die Anzeichen waren so deutlich, daß jede Täuschung ausgeschlossen war. Aber sie mußten schon in den ersten Morgenstunden aufgebrochen sein und außerdem sich letzt aller Wahrscheinlichkeit nach schon in Liberia befinden.
Zwei Stunden später ritt man längs der Umzäunung hin, die das Blockhaus Rivières umgab. Da erblickte man vor sich auf der Straße eine Anzahl Menschen. Es waren ihrer gewiß mehr als hundert. Als die Hostelianer näher kamen, erkannten sie in ihnen jene Patagonier, deren Pferde in den vorhergegangenen Scharmützeln erschossen worden waren.
Da fielen Flintenschüsse aus der Umzäunung und mindestens zehn Patagonier stürzten zu Boden. Von den Überlebenden gaben einige auf die Palisaden ein paar ungefährliche Schüsse ab, dann entflohen alle. Nun erst bemerkten sie die zweiunddreißig Reiter, die ihnen den Weg versperrten und deren Gewehre mit ihnen zu verhandeln begannen.
Beim Knall dieser Detonationen stürzten zweihundert mit Heugabeln, Beilen und Sensen bewaffnete Männer aus dem Schutz der Umzäunung heraus und
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