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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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alles so ausgeführt. Die Brandstifter wurden im Hafen überrumpelt; sie waren sehr enttäuscht, dort nichts anzutreffen, was die Mühe des Plünderns gelohnt hätte, und in ihrer Wut, die sie taub und blind machte, zerstörten sie alles. Nachdem sie, ohne den leisesten Widerstand zu finden, bis zu diesen Häusern vordringen konnten, hatten sie alle Vorsicht für überflüssig gehalten und nicht einmal Wachen ausgestellt.
    Wie ein Ungewitter fiel der Kawdjer über sie her. Einige Schüsse wurden gewechselt, dann ergriffen die überraschten Patagonier die Flucht, nicht ohne den Siegern fünfzehn neue Gewehre und fünf Gefangene zurückzulassen. Man verfolgte sie nicht. Die Schüsse konnten am anderen Ufer vernommen worden sein und es stand vielleicht ein Angriff zu erwarten. Deshalb beeilten sich die Hostelianer, Liberia zu erreichen. Der Kampf hatte nur zehn Minuten gedauert.
    Die unverhoffte Rückkehr des Kawdjer war nicht die einzige Aufregung, die das Schicksal zu Pattersons Prüfung auserdacht hatte. Drei Tage später stand ihm eine größere bevor, deren Folgen viel ernsterer Natur waren.
    Der Wachtdienst rief ihn diesmal von sechs Uhr abends bis zwei Uhr morgens an das Flußufer, zirka hundert Meter von der Stelle entfernt, wo der nördliche Wall es berührte. Zwischen ihm und dem Wall waren noch drei andere Schildwachen postiert. Der Platz war nicht schlecht. Man wurde selbst von allen Seiten bewacht.
    Als Patterson seinen Posten erreichte, war es noch hell und die Situation schien ihm wenig besorgniserregend. Aber nach und nach sanken die Schatten der Nacht hernieder und mit ihnen ergriff ihn die Angst. Wieder lauschte er auf den geringsten Lärm, hielt fortgesetzt nach allen Richtungen Umschau, um sich ja keine verdächtige Bewegung entgehen zu lassen.
    Er blickte weit in die Ferne, während die Gefahr in nächster Nähe auf ihn lauerte. Wie erschrak er, als er sich plötzlich mit halblauter Stimme anrufen hörte.
    »Patterson!« murmelte jemand, der nur zwei Schritte von ihm entfernt sein konnte.
    Er erstickte einen Schrei, der sich ihm auf die Lippen drängen wollte; im selben Augenblick sagte jemand in befehlendem Tone:
    »Ruhe!«
    Die erste Stimme flüsterte wieder:
    »Erkennst du mich?«
    Und als Patterson, unfähig ein Wort hervorzubringen, schwieg:
    »Sirdey,« sagte man in der Finsternis.
    Patterson atmete auf; der ihn ansprach, war ein Kamerad, allerdings der letzte, den er hier erwartet hätte.
    »Sirdey? sagte er fragend und horchte auf.
    – Ja… Sei vorsichtig… Sprich leise… Bist du allein?… Ist niemand in deiner Nähe?«
    Patterson schien die Finsternis um sich durchbohren zu wollen.
    »Niemand, sagte er.
    – Rege dich nicht! befahl Sirdey. Bleibe ruhig stehen… daß man dich sehen kann… Ich komme näher zu dir, aber wende dich nicht nach meiner Seite!«
    Das Gras am Ufer des Flusses knisterte leise.
    »Hier bin ich,« sagte Sirdey und blieb ausgestreckt am Boden liegen.
    Trotz der erhaltenen Weisung warf Patterson einen Blick auf seinen unerwarteten Besucher und bemerkte, daß dieser ganz durchnäßt war.
    »Woher kommst du, fragte er und nahm seine frühere Stellung wieder ein.
    – Aus dem Fluß… ich bin bei den Patagoniern.
    – Mit den Patagoniern?… sagte Patterson mit dumpfer Stimme.
    – Ja… Vor achtzehn Monaten habe ich die Insel Hoste verlassen, Indianer haben mich über den Beagle-Kanal gesetzt. Ich wollte nach Punta-Arenas und von da nach Argentina und weiter gehen. Aber die Patagonier haben mich unterwegs aufgefangen.
    – Was haben sie dir getan?
    – Zum Sklaven haben sie mich gemacht.
    – Zum Sklaven!… wiederholte Patterson. Aber jetzt bist du ja frei, wie mir scheint!
    – Sieh her!« antwortete Sirdey.
    Patterson gehorchte der Einladung und glaubte eine Schnur zu unterscheiden, die an Sirdeys Gürtel befestigt schien. Aber als dieser die Schnur schüttelte, rasselte sie wie eine Eisenkette.
    »Du siehst, wie frei ich bin!… nahm der einstige Koch wieder das Wort. Außerdem sind zwei Patagonier zehn Schritte weit von mir im Wasser versteckt und beobachten mich. Selbst wenn ich diese Kette zerreißen könnte, deren anderes Ende sie in Händen haben, würden sie mich bald eingefangen haben, ehe ich wenige Schritte machen könnte.«
    Patterson begann so heftig zu zittern, daß Sirdey es bemerkte.
    »Was hast du denn? fragte er.
    – Patagonier! stammelte Patterson seiner selbst kaum mächtig.
    – Fürchte dich nicht, beruhigte ihn Sirdey. Sie tun dir nichts.

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