Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Sie sehen.
– Und Sie? fragte Harry Rhodes.
– Ich bin ein Freund der Indianer, die mir den Namen »Kawdjer« gegeben haben; einen anderen kenne ich nicht mehr!«
Harry Rhodes blickte mit unverhohlenem Staunen auf den Sprecher, welcher diese Frage mit unbewegter, kalter Miene beantwortet hatte. Ohne die Sache weiter zu verfolgen, erkundigte er sich:
»Was ist Ihre Ansicht über unsere Lage? Was sollen wir tun?
– Wir sprachen gerade davon, Mr. Hartlepool und ich, sagte der Kawdjer. Alles hängt vom »Jonathan« ab; wir müssen vor allem missen, in welchem Zustand er sich befindet. Ich gestehe aufrichtig, daß ich nicht viel Hoffnung habe, trotzdem muß er erst sorgfältig untersucht werden, ehe eine Entscheidung getroffen werden kann.
– An welcher Stelle des Magalhães-Archipels sind wir gestrandet? fragte Harry Rhodes.
– An der Südostküste der Insel Hoste.
– Nahe der Magalhães-Straße?
– Nein, die Unglücksstelle ist im Gegenteil sehr weit davon entfernt!
– Teufel!!… war Harry Rhodes’ einzige Antwort.
– Ich wiederhole nochmals, alles hängt von der genauen Untersuchung des »Jonathan« ab, darüber müssen wir uns in erster Linie Gewißheit verschaffen, dann können und werden wir das weitere beschließen.«
Von Mister Hartlepool, Harry Rhodes, Halg und Karroly gefolgt, stieg der Kawdjer zu den Klippen hinab, wo der »Jonathan« von allen Seiten besichtigt wurde.
Nun wurden die schlimmen Befürchtungen traurige Gewißheit: das Schicksal des amerikanischen Klippers war besiegelt, er war unrettbar verloren. Der Schiffskörper war an fast zwanzig Stellen geborsten. Die ganze Steuerbordseite entlang klaffte ein breiter Riß; der Schaden war unheilbar, um so mehr, als es sich in diesem Falle um eine Eisenkonstruktion handelte. Angesichts dieser sprechenden Tatsachen wäre der leiseste Hoffnungsstrahl Torheit gewesen. Da der »Jonathan« nicht mehr flott zu machen war, blieb nichts anderes zu tun übrig, als ihn seinem Schicksal zu überlassen. Bald würde das Meer seine Beute vollständig verschlungen haben.
»Meiner Meinung nach, sagte endlich der Kawdjer, wäre das Vernünftigste, die Ladung auszuschiffen und an einer gut geschützten Stelle zu bergen. Während dieser Zeit könnte unsere Schaluppe ausgebessert werden, die im Moment des Anpralles schwere Beschädigungen erlitten hat. Sobald sie wieder seetüchtig ist, soll Karroly einen der Emigranten nach Punta-Arenas führen, denn der Gouverneur muß von dem geschehenen Unglück in Kenntnis gesetzt werden. Dieser wird dann sicher in möglichster Eile die nötigen Schritte tun, Ihnen in Ihre Heimat weiter zu helfen.
– Das ist sehr richtig bemerkt und gedacht, pflichtete ihm Harry Rhodes bei.
– Ich glaube, nahm der Kawdjer wieder das Wort, daß es gut sein wird, diesen Plan Ihren Gefährten mitzuteilen. Wenn Sie nichts dagegen einzuwenden haben, könnten wir alle am Strand zusammenrufen.«
Man mußte geraume Zeit auf die Rückkehr der verschiedenen Abteilungen warten, welche sich nach allen Richtungen hin zerstreut hatten. Aber noch vor neun Uhr morgens hatte der Hunger alle Passagiere zum gestrandeten Schiffe zurückgeführt. Harry Rhodes, welcher einen etwas erhöhten Felsblock als Rednerbühne benützte, teilte seinen Gefährten den Vorschlag des Kawdjer mit.
Der Erfolg war nicht durchgreifend, die Rede Harry Rhodes’ wurde mit gemischten Gefühlen aufgenommen, einige der Zuhörer machten kein Hehl aus ihrer Unzufriedenheit und äußerten laut ihr Mißfallen.
»Jetzt eine Ladung von dreitausend Tonnen ausschiffen, das fehlte uns gerade noch! murrte der eine.
– Für wen nimmt man uns denn? sagte in beleidigtem Tone ein zweiter.
– Als ob wir nicht schon der Strapazen genug und übergenug erduldet hätten!« brummte ein dritter vor sich hin.
Endlich wurde aus dem Stimmengewirr ein verständlicher Ruf laut.
»Ich bitte um das Wort,« sagte jemand in schlechtem Englisch.
Harry Rhodes, welcher weder den Sprecher noch dessen Namen kannte, stieg sogleich von seinem Felsen herab.
Sein Platz wurde augenblicklich von einem Manne eingenommen, welcher in den besten Jahren stand. Sein Gesicht zeigte schöne Züge, blaue, träumerisch blickende Augen und war von einem dichten, dunkelbraunen Vollbart umrahmt.
Der Eigentümer dieses prächtigen Bartes schien darauf nicht wenig eitel zu sein, denn seine Hand, die trotz harter Arbeit ihre schöne Form und weiße Farbe bewahrt hatte, strich fast unausgesetzt, wie liebkosend, über
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