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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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die langen, seidenweichen Haarwellen hin.
    »Kameraden, rief er, indem er unruhigen Schrittes auf dem schmalen Felsen hin-und herwanderte wie einst Cicero auf seiner Rednerbühne; es ist sehr begreiflich, daß euch die Überraschung ob des soeben Vernommenen Ausrufe des Unwillens erpreßt hat. Was schlägt man euch denn eigentlich vor? Ihr sollt während einer unabsehbaren, unbestimmbaren Zeit auf dieser ungastlichen, öden Küste verweilen und stumpfsinnig an der Bergung der Schiffsladung arbeiten, die gar nicht unser Eigentum ist. – Warum sollen wir erst auf die Rückkehr der Schaluppe warten? Es ist doch viel einfacher, wenn sie uns gruppenweise nach Punta-Arenas führt!
    – Das ist sicher! – Recht hat er! – Das ist das einzig Vernünftige!« – Diese und ähnliche Bemerkungen wurden in der Zuhörerschar laut.
    Des Kawdjer ruhige Stimme drang klar durch das Durcheinander:
    »Gewiß steht euch die Wel-kiej zur Verfügung, das bedarf keiner Erwähnung; aber es würde zehn Jahre dauern, ehe alle nach Punta-Arenas gebracht werden könnten.
    – Das ist möglich, gab der Redner nach einigem Zögern zu; wir bleiben also hier, um die Rückkehr der Schaluppe abzuwarten; aber ich sehe durchaus keinen Grund, warum wir wie die Lasttiere arbeiten sollen, um die Ladung auszuschiffen! Alles, was unser persönliches Eigentum ist, werden wir selbstverständlich aus dem Schiffsraum herausholen, alles übrige geht uns nichts an!… Haben wir denn irgendwelche Verpflichtungen gegen die »Gesellschaft«, der alles gehört? Ganz im Gegenteil; sie hat uns schadlos zu halten für alle Unglücksfälle, die uns betroffen haben! Die Katastrophe ist die natürliche Folge ihres Geizes: Hätte man uns ein besser ausgerüstetes und besser geführtes Schiff zur Verfügung gestellt wäre es nicht so weit gekommen. Das Geschehene ist nun nicht mehr ungeschehen zu machen, eines aber dürfen wir niemals und nirgends vergessen, daß wir jener bedauernswerten, aus unzähligen Köpfen bestehenden Menschenklasse angehören, welche nur dazu geboren scheint, von einer glücklicheren, mächtigeren Klasse ausgenutzt zu werden. Und wir sind nicht gutmütigdumm genug, uns zu Arbeitstieren dieser Blutsauger zu erniedrigen!«
    Die Rede fand entschieden Beifall. Bravorufe wurden laut, gefolgt von rohem Gelächter. Durch diese Zustimmung begeistert, fuhr der Redner mit neuem Eifer fort:
     

    »Was wollen Sie damit sagen?« fragte der Kawdjer. (S. 71.)
     
    »Jawohl, ausgenützt werden wir armen Arbeiter – dabei klopfte er heftig auf die eigene Brust – ausgebeutet werden wir von gewissenlosen Menschen! Es ist uns verwehrt, auf heimatlichem Grund und Boden im Schweiße unseres Angesichtes unser Brot zu verdienen. Aber wir wären wohl mehr als dumm zu nennen, wenn wir uns dazu hergeben wollten, unsere von der Arbeit gebeugten Rücken mit diesem Eisengerümpel zu beladen; zwar haben es fleißige Arbeiter, wie wir es sind, geschaffen, aber nichtsdestoweniger ist es Eigentum eines auf Knechtung aller Menschenwürde und -rechte bedachten Kapitalismus, dessen schrankenlosem Egoismus wir es zu danken haben, daß wir heimatlos geworden sind, daß unsere Kinder kein Vaterland haben!«
    Die meisten Auswanderer hatten mit halb erstaunten, halb erschreckten Mienen diesem Wortschwall gelauscht, welcher ihnen in gebrochenem, durch einen stark fremdländischen Akzent gekennzeichnetem Englisch entgegengeschleudert wurde; einige waren entschieden schwankend geworden und nur eine kleine Gruppe, welche sich um die improvisierte Rednertribüne geschart hatte, war ganz einer Meinung mit dem Sprecher und äußerte ihren Beifall in nicht mißzuverstehender Weise.
    Und wieder war es der Kawdjer, welcher Ordnung schaffte.
    »Es ist mir unbekannt, wem die Ladung des »Jonathan« gehört, sagte er sehr ruhig, aber meine Erfahrung, meine Kenntnis dieses Landes ermächtigt mich, Ihnen die Versicherung zu geben, daß sie wahrscheinlich noch von größter Wichtigkeit sein wird. Niemand von uns kann sagen, wie die Zukunft sich gestalten wird, welchen Ereignissen wir entgegengehen. Darum meine ich, es ist klüger, die Ladung nicht preiszugeben!«
    Der frühere Redner schien keine Lust zu haben, darauf zu antworten, und so bestieg Harry Rhodes abermals den Felsen und ließ über den Vorschlag des Kawdjer abstimmen. Ohne Widerrede wurde er angenommen mit zum Zeichen der Zustimmung hoch erhobenen Händen.
    »Der Kawdjer erkundigt sich, fügte Harry Rhodes hinzu, indem er eine Frage

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