Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
»Jonathan« einen nicht zu unterschätzenden Konkurrenten gefunden hätte. Dieser Konkurrent war niemand anderer als ein Nordamerikaner, namens Lewis Dorick, ein Mann mit glattrasiertem Gesicht, eisigkalten Mienen, welcher messerscharfe Reden hielt. Dieser Lewis Dorick verfocht dieselben Theorien wie Ferdinand Beauval, aber in noch verschärfterem Maßstabe. Während dieser dem Sozialismus das Wort redete, nach welchem der Staat als Alleinbesitzer aller Wertobjekte einem jeden sein Amt und seinen Anteil zuweisen sollte, vertrat Dorick den reinen Kommunismus, demzufolge alles gleichzeitig Eigentum aller und jedes einzelnen sein sollte.
Außer der Uneinigkeit dieser beiden sozialdemokratischen Führer in bezug auf die Prinzipien, die sie zum Ausgangspunkt ihrer Proselytenmacherei gewählt hatten, trat noch ein anderer charakteristischer Unterschied hervor. Während Beauval sich mit klingenden Worten und leeren Träumen zufrieden gab und sonst ziemlich sanftmütiger Natur war, zeigte sich Dorick von wilder, herrschsüchtiger Gemütsart, sein kaltes Herz kannte kein Erbarmen. Und wenn es auch dem einen im Feuer der Begeisterung gelang, seine Zuhörerschaft mit sich fortzureißen, sie derart aufzuregen, daß ihr jeder Gewaltakt als eine Heldentat erschienen wäre, so war er dennoch persönlich ganz unschädlich, während des anderen »Ich« gleichbedeutend mit »Gefahr« war.
Dorick verstand die Gleichheit auf eine Weise, die das schöne Wort hassenswert machte. Er blickte nie nach abwärts, seine Blicke waren stets nach oben gerichtet. Der Gedanke an das elende Dasein, zu welchem die überwiegende Majorität der Menschen verdammt ist, ließ sein versteintes Herz in keiner leisen Regung des Mitleides höher schlagen; aber daß ein kleiner Bruchteil der Menschheit über ihm stand, einer höheren gesellschaftlichen Sphäre angehörte als er, das erfüllte ihn mit unsäglicher Wut.
Ihn beruhigen zu wollen, wäre Wahnsinn gewesen. Durch den schüchternsten Widerspruch machte man sich den ungezügelten Menschen zum unversöhnlichen Feinde, welcher – wenn man ihm freie Hand gelassen hätte – vor keiner Gewalttätigkeit, keinem Morde zurückgeschreckt wäre, um sich zu rächen.
Seiner kranken Seele verdankte Dorick all sein Mißgeschick. Er war Professor für Literatur und Geschichte, konnte aber dem Verlangen nicht widerstehen, von seinem Lehrstuhl aus ganz andere Wissenschaften zu verbreiten. Wo er konnte, streute er seine freisinnigen Grundsätze ein, und zwar nicht in der Form einer rein theoretischen Erörterung, sondern im Gewande einer peremptorischen Behauptung, die seinen Hörern die Pflicht auferlegte, sich seinen Aussprüchen zu beugen.
Die naturgemäßen Folgen eines solchen Vorgehens ließen nicht lange auf sich warten. Der Leiter der Anstalt hatte Dorick für dessen Bemühungen seinen besten Dank ausgesprochen, ihn aber gleichzeitig ersucht, sich um einen anderen Wirkungskreis umzusehen. Nachdem die gleichen Ursachen allemal die gleichen Wirkungen aufweisen, wiederholte sich der eben geschilderte Vorgang. Dorick verlor auch seine zweite Anstellung und so ging es einige Zeit fort, bis sich alle Tore unwiderruflich vor ihm geschlossen hatten. Überall abgewiesen, außerstande, seinen Unterhalt zu verdienen, hatte er auf dem »Jonathan« Zuflucht gesucht und gefunden, aus dem ehemaligen Professor war ein Auswanderer geworden.
Während der Überfahrt hatte sowohl Dorick als auch Beauval Anhänger geworben; dieser durch seine zündende Beredsamkeit, die von keinerlei Gewissensskrupeln gehemmt wurde und keinerlei offene Kritik zu fürchten hatte – jener durch die imponierende Autorität eines Mannes, welcher sich als Wissender fühlt und nur Gesetze unumstößlicher Wahrheit lehren kann. Den bescheidenen Anhängerkreis, welchen jeder der Führer um sich gesammelt hatte, verziehen sie sich gegenseitig nicht. Und wenn sie auch nach außen hin die Formen strikter Höflichkeit wahrten, so war ihr Inneres doch von Haß und Neid erfüllt.
Kaum hatte man auf der Insel Hoste festen Fuß gefaßt, hatte Beauval keinen kostbaren Augenblick verloren und gleich versucht, über seinen Rivalen einen kleinen Sieg zu erringen. Die Gelegenheit war ihm günstig; es ergab sich ein Vorwand, der es ihm ermöglichte, auf den Felsen zu klettern und eine Ansprache zu halten, deren Inhalt wir kennen. Daß seine Rede ganz erfolglos war, das bekümmerte ihn nicht. Die Hauptsache für ihn war, sich in den Vordergrund zu drängen, sich
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