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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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die man mir gutwillig zuerkennt, erklärte er. Die beiden würden mich gar nicht anhören!
    – Warum werden sie mich eher anhören?
    – Weil sie Sie fürchten.«
    Der Kawdjer war sehr bestürzt über diese Antwort. Es gab Menschen, welche ihn fürchteten? Der Grund konnte nur in seiner Überlegenheit liegen. Immer dasselbe: Die Gewalt, die Überlegenheit als Basis der ersten gesellschaftlichen Beziehungen!
    »Ich gehe hin,« sagte er mit düsterer Miene.
    Er richtete seine Schritte nach dem Zelt, das die Ladung des »Jonathan« barg. Kennedy hatte gerade seine Wache angetreten.
    »Sie haben das Vertrauen getäuscht, das man in Sie gesetzt hat… sagte der Kawdjer streng.
    – Aber Herr… stammelte Kennedy.
    – Sie haben betrogen, fügte der Kawdjer in kaltem Ton hinzu; von diesem Augenblick an gehören Sie und Sirdey nicht mehr zur Besatzung des »Jonathan«.
    – Aber… wollte Kennedy sich entschuldigen.
    – Ich hoffe, Sie werden mich nicht zwingen, meine Worte zu wiederholen.
    – Es ist schon gut, Herr… es ist gut…« stotterte Kennedy, indem er respektvoll seine Mütze zog.
    In demselben Augenblicke wurde hinter dem Kawdjer eine Stimme laut:
    »Mit welchem Recht erteilen Sie diesem Mann Befehle?«
    Der Kawdjer wandte sich um und erblickte Lewis Dorick, welcher in Gesellschaft Fred Moores Zeuge der Bestrafung Kennedys gewesen war.
    »Und welches Recht haben Sie denn, mich ob meiner Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen?« fragte er von oben herab.
    Als Kennedy diese unerwartete Unterstützung kam, änderte er sein Benehmen, setzte seine Mütze auf und lachte frech vor sich hin.
    »Wenn ich das Recht nicht habe, nehme ich es mir einfach, entgegnete Lewis Dorick. Wir dulden nicht, daß sich auf der Insel Hoste jemand zum Befehlshaber aufwirft.«
    War es möglich?… Dieser Mensch beschuldigte den Kawdjer, den Befehlshaber spielen zu wollen!
    »Nun ja, das ist ja so die Art und Weise des hohen Herrn, fiel Fred Moore ein, indem er besonderen Nachdruck auf das letzte Wort legte Der Herr nimmt ja eine ganz andere Stellung ein als wir anderen Sterblichen; ist ja viel mehr als wir, er befiehlt, er trifft Entscheidungen… Der Herr glaubt vielleicht, hier Kaiser zu sein?«
    Der Kreis verdichtete sich um den Kawdjer.
    »Dieser Mann, sagte Dorick mit schneidender Stimme, braucht niemandem Gehorsam zu leisten. Wenn er will, kann er sich auch weiterhin zur Besatzung des »Jonathan« rechnen.«
    Der Kawdjer schwieg, aber er ballte die Faust, als seine Gegner einen Schritt näher an ihn herantraten.
    Würde es zu einem Angriff kommen, würde er sich durch Zuhilfenahme roher Kraft verteidigen müssen. Er fürchtete die Feinde nicht. Es waren ihrer drei – auch zehn hätten ihn nicht erschreckt. Aber welche Schande, sich als denkendes Wesen derselben Verteidigungsmittel bedienen zu müssen wie das auf tiefer Entwicklungsstufe stehende Tier!
    Aber diese Schmach blieb dem Kawdjer erspart. Harry Rhodes und Hartlepool waren ihm gefolgt, bereit, im Notfalle helfend einzugreifen. Als sie sich von ferne näherten, verschwanden Dorick, Moore und Kennedy vom Schauplatz.
    Traurig blickte ihnen der Kawdjer nach – da tönten laute Rufe und Schimpfworte vom Flußufer herüber. Die drei Männer eilten nach dieser Richtung und trafen auf einen dichten Menschenknäuel, aus dessen Mitte fortgesetzt Schreie drangen. Fast alle Emigranten schienen an dieser Stelle versammelt zu sein und über den Köpfen der aufgeregten Menge sah man drohende Fäuste sich erheben.
    Was war denn die Ursache dieser Aufregung, die fast wie Aufruhr aussah?
    Es war keine Ursache vorhanden oder, besser gesagt, der Grund war ein so geringfügiger, weit hergeholter, daß keiner der Erregten ihn hätte anzugeben vermocht.
    Vor sechs Wochen hatten die Zwistigkeiten mit einem Streit um ein Küchengerät begonnen. Eine der Frauen behauptete, es einer anderen geliehen, und diese beschwor hoch und teuer, es zurückgegeben zu haben. Wer von beiden recht hatte, vermochte niemand zu sagen.
     

    Der Kommandant kam gar nicht zum Sprechen… (S. 166.)
     
    Über diese hochwichtige Angelegenheit brach ein heftiger Streit zwischen den zwei Frauen los, sie schmähten so lange, bis ihnen buchstäblich der Atem ausging. Drei Tage später wurde er von neuem aufgenommen, in ernsterer Form diesmal, da die Männer der beiden Kriegführenden sich nun auch der Sache annahmen. Damals schon hatte man die eigentliche Ursache des Rechtsstreites vergessen gehabt, den Ursprung der

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