Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Kawdjer, wären Sie auf freier Erde gestrandet; jetzt hat ihr ein verdammungswürdiger Vertrag die Unabhängigkeit gestohlen.«
Der Kawdjer stand mit hocherhobenem Haupte und auf der Brust gekreuzten Armen da und ließ seine Blicke nach Osten schweifen, als hätte er das Schiff zu sehen erwartet, das, aus dem stillen Ozean kommend, die Spitze der Halbinsel Hardy umfahren mußte, das Schiff, das der Gouverneur von Punta Arenas zu senden versprochen hatte.
Der vorherbestimmte Zeitpunkt war herangekommen. Schon hatte die zweite Hälfte des Monates Oktober begonnen und noch immer war kein Fahrzeug auf dem Meere zu erblicken.
Die Schiffbrüchigen gaben – und mit Recht – Zeichen der Unruhe ob dieser Verspätung. Zwar mangelte es ihnen an nichts. Für viele Monate hinaus reichten die Konservenschätze der Ladung des »Jonathan« noch aus. Aber die Emigranten waren eben noch nicht an ihrem Bestimmungsort angelangt, einen zweiten Winter wollten sie nicht mehr auf der Insel verbringen und schon wurden Stimmen laut, die davon sprachen, die Schaluppe nochmals nach Punta-Arenas zu schicken.
Während der Kawdjer in Gedanken vertieft dastand, kamen Lewis Dorick und etwa zehn seiner gewöhnlichen Genossen, lärmend und herausfordernd vorüber, sie waren eben von einem Ausflug in das Innere der Insel zurückgekehrt. Sie hatten nie die feindliche Gesinnung verheimlicht, die sie für die sonst allgemein geachtete Familie Rhodes und den Kawdjer hegten, trotzdem sie den großen Einfluß des letzteren nicht leugnen konnten. Harry Rhodes wußte es, auch dem Kawdjer war diese Gesinnung kein Geheimnis.
»Diese Leute, sagte der erstere, würde ich ohne Bedauern hier zurücklassen. Von ihnen haben wir nichts Gutes zu erwarten. Sie werden in unserer neuen Niederlassung nur Unfrieden stiften. Sie wollen keine Autorität anerkennen und streben die Aufhebung aller sozialen Ordnung an. Als ob Ordnung und Autorität nicht ein naturgemäßes Erfordernis einer jeden Vereinigung von Menschen wäre!«
Der Kawdjer antwortete nicht, vielleicht war er so in seine Gedanken vertieft, daß er die Worte gar nicht vernommen hatte, vielleicht wollte er auch nicht antworten.
So kehrte das Gespräch trotz aller Anstrengungen stets wieder zum selben Punkt zurück, immer kam die soziale Frage zur Verhandlung, über die man sich nie einigte.
Harry Rhodes, welchem das schweigsame Verhalten des Kawdjer auffiel, bedauerte, so ungeschickterweise den wunden Punkt wieder berührt zu haben, als Hartlepool ins Zelt trat und die Gedanken in eine andere Richtung lenkte.
»Ich möchte mit Ihnen sprechen, Herr, sagte er zum Kawdjer.
– Wir wollen nicht stören… meinte Harry Rhodes.
– Sie stören durchaus nicht, sagte der Kawdjer, und fragte den Hochbootsmann:
– Was haben Sie mir mitzuteilen, Hartlepool?
– Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich wegen des Alkohols genau orientiert bin, antwortete er.
– Also ist es doch Rum aus den Vorräten des »Jonathan« gewesen, der Ceroni verkauft worden ist?
– Ja.
– Natürlich gibt es da Mitschuldige!
– Zwei, Kennedy und Sirdey.
– Täuschen Sie sich nicht?
– Jeder Irrtum ist ausgeschlossen.
– Welchen Beweis haben Sie?
– Diesen: Als Sie mir kürzlich von Patterson sprachen, bin ich mißtrauisch geworden. Ceroni ist nicht imstande, aus eigenen Mitteln einen Plan auszuhecken, aber Patterson ist ein durchtriebener Bursche. Ich habe ihn daher überwachen lassen…
– Durch wen? unterbrach ihn der Kawdjer mit gerunzelter Stirne, der Gedanke des Ausspioniertwerdens empörte ihn.
– Durch die beiden Schiffsjungen, erwiderte Hartlepool; die beiden sind nicht auf den Kopf gefallen und haben die Schuldigen herausgefunden. Sie haben gestern Kennedy und diesen Morgen Sirdey auf frischer Tat ertappt, als sie einen Augenblick der Unachtsamkeit des Kameraden, der mit ihnen die Wache teilte, rasch dazu benutzten, um ein Quantum Rum in die Feldflasche Pattersons zu gießen.«
Die Erinnerung an das Martyrium Tullias und Graziellas und auch der Gedanke an Halg ließen den Kawdjer auf seine Freiheitsideen vergessen.
»Das sind Verräter, sagte er, gegen die mit größter Strenge vorgegangen werden muß.
– Das ist auch meine Ansicht, pflichtete Hartlepool bei, und deshalb bin ich gekommen, Sie zu holen.
– Mich?… Warum machen Sie nicht selbst das Nötige ab?«
Hartlepool schüttelte den Kopf als Mann, welcher seine Leute kannte.
»Seitdem es keinen »Jonathan« mehr gibt, habe ich nur die Autorität,
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