Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
größten Aufmerksamkeit und Begeisterung ein Kind. Diese Töne von bisher nie geahnter Schönheit waren für Sand wie eine Offenbarung. Er hatte erst jetzt die Musik entdeckt und trat zitternd in das unbekannte Reich ein. Im Mittelpunkt des Kreises stand er dem Spieler gerade gegenüber, sah und hörte nur ihn, seine ganze Lebenskraft konzentrierte sich auf Augen und Ohren, die Seele war wie berauscht und zitterte vor tiefer innerlicher Erregung.
Welche Worte können das Malerische dieses Schauspieles wiedergeben? Am Boden kauert ein Mann, unförmlich durch seine kolossalen Körperdimensionen, zusammengebrochen, den Kopf auf die Brust gesenkt, mit geschlossenen Augen, die nur in sein Inneres blicken – und er spielt; spielt, ohne abzusetzen, unermüdlich, hingebungsvoll bei der unsicheren Beleuchtung einer qualmenden Fackel, die seine Umrisse aus dem nächtlichen Schatten hervortreten läßt.
Vor dem Manne steht ein Kind im Paroxysmus höchsten Entzückens und um diese sonderbare Gruppe herum lauscht eine schweigsame, unsichtbare Menschenmenge, deren Gegenwart nur manchmal auf kurze Augenblicke bemerkbar wird, wenn die launige Brise die Fackeln heller auflodern läßt. Dann lassen die tanzenden Lichtstrahlen blitzschnell ein Auge, ein Ohr, eine Nase aus der Finsternis auftauchen, die eben so schnell von den Schatten verschlungen werden.
Und in weichen und doch mächtigen Wellen fließen die lieblichsten Weisen dahin und verlieren sich leise klagend im weiten Weltraum.
Gegen Mitternacht ließ der todmatte Fritz Groß den Bogen sinken und war sofort friedlich eingeschlafen, die Emigranten gingen langsam und andächtig in ihre Behausungen zurück.
Freilich hielt der flüchtige Eindruck nicht bis zum nächsten Morgen an; jetzt fühlten die Kolonisten wieder für derbere Vergnügungen Interesse. Das Schmausen und Trinken begann von neuem. Es war vorauszusehen, daß der Jubel so lange anhalten mußte, bis der letzte Tropfen Alkohol vertilgt war.
Während dieses lärmenden Treibens kam die Wel-kiej auf die Insel Hoste zurück, achtundvierzig Stunden nach der Abfahrt des Avisoschiffes. Niemand schien sich zu erinnern, daß sie seit zwei Wochen abwesend gewesen, und diejenigen, die sie an Bord trug, wurden so empfangen, als hätten sie niemals die Insel verlassen. Der Kawdjer konnte nicht begreifen, was vorging. Was bedeutete die unbekannte Flagge, die am Strande wehte, und der allgemeine Jubel, der die Emigranten beherrschte?
Harry Rhodes und Hartlepool setzten ihn mit wenigen Worten von den Ereignissen der letzten Tage in Kenntnis. Der Kawdjer hörte den Bericht sehr bewegt an. Seine Brust hob sich, als ob eine schwere Last von seinem Herzen gefallen sei, er atmete tief auf, die Luft schien ihm jetzt reiner, kräftiger und sein Angesicht strahlte wie verklärt. Es gab also doch noch freies Land im Magalhães-Archipel!
Aber er belohnte die ihm gemachten Mitteilungen nicht mit gleichem Vertrauen und sprach sich über die Gründe, die ihn bewogen hatten, während vierzehn Tagen die Insel zu meiden, nicht aus. Wozu auch? Hätte er es Harry Rhodes begreiflich machen können, warum er – treu seinem Entschluß, jede Beziehung zur zivilisierten Welt abzubrechen – fortgesegelt war, als er das Nahen des Avisoschiffes bemerkt hatte, das nach seiner Meinung Ordre hatte, die Autorität der chilenischen Regierung zu proklamieren, und warum er – in einer kleinen Bucht der Halbinsel Hardy verborgen – die Abfahrt des Dampfers abgewartet hatte, ehe er zum Lager zurückkehrte.
Seine Freunde waren überglücklich, ihn wieder zu sehen und quälten ihn nicht mit Fragen. Für Harry Rhodes und Hartlepool war seine bloße Gegenwart eine große Stütze. Das Bewußtsein, diesen Mann eiserner Energie zur Seite zu haben, mit seiner überlegenen Intelligenz und seinem freundlichen Wesen, gab ihnen das Vertrauen auf die Zukunft wieder zurück, das die Kinderei, die die anderen Gefährten an den Tag legten, bereits arg erschüttert hatte.
– Die Unglücklichen haben ihre Unabhängigkeit nur so aufgefaßt, sagte Harry Rhodes, als er mit seinem Bericht zu Ende war, daß sie das unbestreitbare Recht zu haben glauben, sich zu betrinken. Sie scheinen gar nicht daran zu denken, daß jetzt eine Organisation, eine Regierung notwendig wird.
– Bah! erwiderte der Kawdjer nachsichtig. Sie sollen auch ein paar gute Tage haben. Ihr Leben war ohnedies so freudenarm. Diese Überschwenglichkeit wird nicht lange andauern, sie werden von selbst den
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