Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
selbständige Stellung einzunehmen hoffte, jeder sein eigener Herr sein wollte, indem er vom wetterfesten Seemann ein einfacher Fischer wurde.
Die Verwirklichung oder das Scheitern ihres Planes mußte größtenteils von der Art der Verwaltung der Insel abhängen. Wenn ein Staat gut regiert ist, können die Bürger durch ihrer Hände Arbeit reich werden. Im Gegenteil wird aller Fleiß unfruchtbar bleiben, wenn man an leitender Stelle nicht die richtigen Maßnahmen zu entdecken und anzuwenden weiß, um der Arbeit des einzelnen den nötigen Halt und die rechte Unterstützung angedeihen zu lassen. Die Organisation der Kolonie war demnach von größter Wichtigkeit.
Aber vorläufig beunruhigte diese hochwichtige Lebensfrage die Hostelianer (diesen Namen hatten sie in einstimmigem Einverständnis angenommen) noch nicht Sie dachten nur daran, sich ihres Lebens zu freuen. Das Zauberwort »Freiheit« hatte sie berauscht. Sie schwelgten in ihrem Entzücken darin wie große Kinder, ohne den Versuch zu machen, in den tieferen Sinn des Wortes einzudringen, ohne zu bedenken, daß das Wort eine Wissenschaft bedeutet, welche studiert sein will und daß derjenige, welcher in Freiheit leben will, vorher gelernt haben muß zu leben.
Das Avisoschiff war noch nicht aus dem Gesichtskreis verschwunden, als die früher von den feindseligsten Gefühlen erregte Menge sich gegenseitig freudigst beglückwünschte. Es schien, als wäre man mit einer besonders schwierigen, wichtigen Aufgabe glücklich zu Ende gekommen. Und doch war das Werk erst im Entstehen begriffen!
Jedes freudige Ereignis wird durch besondere Festlichkeiten gefeiert. Auch hier wurde einstimmig beschlossen, für diesen Tag ein Festmahl zu richten, und während die Frauen sich an den Herd zu ihren Kochtöpfen begaben, richteten die Männer ihre Schritte nach dem Aufbewahrungsort der Vorräte des »Jonathan«. Selbstredend wurde die einstige Schiffsladung seit der Unabhängigkeitserklärung der Insel nicht mehr bewacht. Die Umstände hatten die rechtlosen Schiffbrüchigen zum Rang einer Nation erhoben, außer ihr selbst war niemand berechtigt, in die Ausübung ihrer Herrschergewalt einzugreifen. Wer hätte auch den Wachtdienst antreten sollen, da die große Hälfte der Matrosen sich an Bord des Avisodampfers befand? Ein Faß wurde in fröhlichster Laune angestochen, doch als man zur Verteilung des Getränkes schreiten wollte, kam einigen besonders schlauen Köpfen eine bessere Idee. Eigentlich war alles gemeinsames Eigentum – warum sollte nicht gleich der ganze Vorrat bis auf den letzten Tropfen verteilt werden? Der schüchterne Widerspruch einiger klüger Denkender wurde überstimmt und der Antrag begeistert angenommen. Nachdem die existierende Alkoholmenge oberflächlich geschätzt worden war, kam man überein, daß jeder erwachsene Mann einen vollen, die Frauen und Kinder je einen halben Teil erhalten sollten. Der Beschluß wurde sogleich ins Werk gesetzt, die Familienväter erhielten den ihnen gebührenden Anteil unter fröhlichen Spässen und Scherzworten.
Am Abend erreichte das Fest seinen Höhepunkt. Alle Feindseligkeiten waren vergessen, begraben. Die verschiedenen Nationalitäten schienen in eine zu verschmelzen, man fühlte sich als Brüder; später wurde selbst ein Ball in Szene gesetzt; beim Klange einer gutwilligen Ziehharmonika drehten sich die Paare im Kreise der Zecher.
Unter diesen war natürlich Lazare Ceroni zu finden. Schon um sechs Uhr abends trugen ihn seine Füße nicht mehr sicher und um zehn Uhr trank er noch immer. Da war ein trauriger Abschluß des Festtages für Tullia und Graziella vorherzusehen.
Gleichzeitig vertilgte ein anderer, abseits von den anderen, in einem finsteren Winkel, den Rum in ganz unvernünftigen Quantitäten. Aber dieser fand in dem abscheulichen Gift momentan seine Seele wieder, die dasselbe Gift vernichtet hatte. Plötzlich ertönte die herrlichste Musik, so daß die Tanzenden in ihrer Bewegung innehielten. Fritz Groß, der mit Alkohol gesättigt war, hatte seinen Genius wieder entdeckt.
Zwei Stunden lang spielte er ohne Unterbrechung, und indem er sich ganz von seiner Inspiration leiten ließ, improvisierte er die wundervollsten Weisen, während hunderte staunende Gesichter ihn umgaben, ihn ungläubig anstarrten, oft mit offenem Munde – als ob sie auf diese Weise die herrlichen Tonwellen besser in sich aufnehmen könnten, deren Quelle die Wundergeige des Künstlers war.
Von allen seinen Zuhörern lauschte mit der
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