Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Ernst des Lebens wieder erfassen. Was die Einsetzung einer Regierung betrifft, so gestehe ich, daß ich die Notwendigkeit einer solchen nicht einsehe.
– Aber es muß sich doch jemand darum bekümmern, warf Harry Rhodes ein, daß hier Ordnung geschafft wird.
– Lassen Sie nur den Dingen ihren Lauf, antwortete der Kawdjer; die Ordnung wird sich von selbst wieder einstellen.
– Wenn ich aber an die jüngste Vergangenheit zurückdenke…
– Die Vergangenheit ist nicht die Gegenwart, unterbrach ihn der Kawdjer. Gestern fühlten sich unsere Gefährten noch als Bürger Amerikas oder Europas. Jetzt sind sie freie Hostelianer. Das ist ein gewaltiger Unterschied!
– Ihre Ansicht wäre also…?
– Sie auf der Insel Hoste, die ihnen gehört, ruhig leben zu lassen. Gesetze gibt es hier nicht, das ist ein großes Glück. Sie sollen sich nur hüten, sie zu erschaffen. Was sollten Gesetze auch bezwecken? Ich bin überzeugt, daß es im Wesen der menschlichen Natur liegt, Konflikte mit seinesgleichen zu vermeiden. Ohne die vielen Vorurteile, die durch jahrhundertelange Sklaverei gezeitigten Ideen würde man sich viel besser einrichten. Die Welt steht den Menschen offen. Sie sollen mit vollen Händen aus ihr schöpfen, sich in brüderlicher Eintracht an den reichen Schätzen erfreuen. Warum das Leben in Regeln zwängen wollen?«
Harry Rhodes schien nicht sehr überzeugt von dieser optimistischen Ansicht. Aber er schwieg dazu.
Hartlepool ergriff das Wort:
»Bis die Schwelger andere Beweise ihrer brüderlichen Gesinnung gegeben haben als beim Essen, behalten wir aber die Waffen und die Munition in Verwahrung.«
Dank der Fürsorge der »Gesellschaft für Kolonisation« enthielt die Ladung des »Jonathan« auch einen Waffenvorrat; sechzig Gewehre, einige Pulverfässer, Kugeln, Blei und Patronen, damit die Emigranten die wilden Tiere jagen und sich nötigenfalls gegen die Angriffe ihrer Nachbarn in der Delagoa-Bai verteidigen könnten. Niemand erinnerte sich an dieses Kriegsmaterial; niemand – außer Hartlepool. Er hatte sich die allgemeine Unordnung und Verwirrung zunutze gemacht und es vorsichtigerweise in Sicherheit gebracht.
Vielleicht wäre er um ein passendes Versteck in Verlegenheit gewesen, hätte ihm nicht Dick die Existenz der unterirdischen Grotten verraten, die die Ostspitze der Insel unterminierten. Von Harry Rhodes und den beiden Schiffsjungen unterstützt, hatte er, während der ersten von den Emigranten durchtollten Nacht Waffen und Munition in die hochgelegene Grotte geschafft, wo sie tief eingegraben wurden. Erst jetzt fühlte sich Hartlepool beruhigt. Der Kawdjer war mit seiner Klugheit und Vorsicht einverstanden.
»Sie haben recht getan, Hartlepool, belobte er den gewesenen Hochbootsmann. Im Laufe der Zeit werden wir ja sehen; aber in dieser Gegend brauchen unsere Gefährten wirklich keine Feuerwaffen.
– Sie haben auch keine, behauptete Hartlepool, an Bord des »Jonathan« wurden die Vorschriften genau eingehalten. Die Emigranten sowohl als auch deren Gepäck wurden bei der Einschiffung genau durchsucht und alle Schußwaffen sind mit Beschlag belegt worden. Es gibt keine Feuerwaffe auf der Insel, außer denen, die wir versteckt haben, und die wird niemand finden. Folglich…«
Hartlepool brach plötzlich seine Rede ab. Er schien bestürzt zu sein.
»Tausend Teufel!… rief er aus. Es gibt doch noch andere Gewehre. Wir haben ja nur achtundvierzig anstatt der eingeschifften sechzig gefunden. – Aber da fällt mir ein: die zwölf fehlenden sind von Rivière, Gordon, Gimelli und Ivanoff mitgenommen worden. Zum Glück sind dies gesetzte, vernünftige Leute, von denen nichts zu fürchten ist.
– Es gibt noch andere Gefahren, außer den Schußwaffen, bemerkte Harry Rhodes. Zum Beispiel den Alkohol! Jetzt ist man ja gut Freund, aber das wird nicht immer so bleiben. Lazare Ceroni hat sich wieder schön aufgeführt. Ich habe in Ihrer Abwesenheit Ordnung schaffen müssen. Ich glaube, ohne meine und Hartlepools Dazwischenkunft hätte er diesmal seine Frau umgebracht.
– Dieser Mensch ist ein wahres Ungeheuer, sagte der Kawdjer.
– Nicht mehr und nicht weniger als alle Trunkenbolde… Jedenfalls ist es ein Glück für die beiden Frauen, daß Halg wieder da ist… Wie geht es eigentlich unserem jungen Wilden?
– So gut, wie es einem jungen Mann in seiner Geistesverfassung gehen kann. Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, daß er mich und seinen Vater nicht sehr freudigen Herzens begleitet hat. Ich
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