Die Schlacht der Nomen: Trucker, Wühler, Flügel
die gräßliche Schachtel fort.
Grimma näherte sich dem Menschen, der inzwischen noch besser gefesselt war und keinen Finger mehr rühren konnte. Er sah aus wie das Bild von Gullibel oder wie er hieß, mit einer Ausnahme: Die heutigen Nomen hatten Dinge verwendet, die den damaligen Wichten fehlten: Drähte. Und Drähte konnte man nicht annähernd so leicht zerreißen wie Fäden oder Stricke. Darüber hinaus brodelte in diesen Nomen weitaus mehr Zorn. Gullibel war vermutlich nicht mit einem Lastwagen hin und her gefahren, um anschließend eine Mahlzeit aus Rattengift zu servieren.
Die vielen Dinge aus den Taschen des Menschen bildeten einen großen Haufen, und zu ihnen gehörte auch ein weißes Tuch. Allerdings lag es jetzt nicht mehr bei den anderen Sachen: Einige Wichte hatten es vor den Mund des Gefangenen gebunden, als sein unablässiges Muhen allen auf die Nerven ging.
Jetzt standen sie herum, aßen Brotkrumen und beobachteten die Augen.
Wichte sprechen schnell und mit hohen Stimmen, die wie das Quieken von Fledermäusen klingen. Menschen können Nomen nicht verstehen, und in diesem Fall war das auch besser so.
»Ich
meine, wir sollten etwas Spitzes suchen und in den Menschen stechen«, sagte jemand. »In alle weichen Teile.«
»Streichhölzer«, schlug eine ältere Nomin zu Grimmas großer Überraschung vor, »wir könnten Streichhölzer benutzen.«
»Und Nägel«, brummte ein etwas älterer Wicht. Der Mensch knurrte hinter dem Knebel, wand sich mühsam hin und her.
»Ja«, sagte die Nomin. »Wir könnten ihm das Haar ausreißen. Und wir könnten …«
Grimma trat von hinten an sie heran. »Nur zu.« Die beiden Wichte drehten sich um.
»Was?«
»Nur zu«, wiederholte Grimma. »Dort liegt der Mensch, direkt vor euch, völlig hilflos. Stellt mit ihm an, was ihr wollt.«
»Was,
ich?«
fragte die Nomin erschrocken. »O nein,
ich
doch nicht. Ich habe nicht von
mir
gesprochen, nein. Ich meinte … nun uns. Die Nomheit.«
»Dachte ich mir«, sagte Grimma. »Aber die Nomheit besteht aus einzelnen Nomen. Außerdem ist es falsch, Gefangenen ein Leid zuzufügen. Ich hab in einem Buch davon gelesen. Man nennt es
Genfer Konvention,
und sie bedeutet: Man darf keine hilflosen Gegner verletzen.«
»Scheint mir die beste Gelegenheit zu sein«, brummte ein Nom. »Man schlage den Gegner, wenn er sich nicht wehren kann – so lautet mein Motto. Wie dem auch sei: Menschen sind gar keine richtigen Leute.« Trotzdem trat er zurück.
»Komisch, wenn man ihre Gesichter aus der Nähe betrachtet.« Die Nomin neigte den Kopf zur Seite. »Sie sehen wie wir aus. Nur größer.« Ein Wicht blickte in die Augen des Gefangenen. Furcht flackerte in ihnen.
»Hat eine haarige Nase«, stellte er fest. »Und die Ohren …«
»Sind geradezu
riesig«,
sagte die Nomin. »Sie könnten einem leid tun. Ich meine, Fast-Leute mit riesigen Nasen und Ohren, in denen Haare wachsen …« Grimma starrte ebenfalls in die Augen des Menschen.
Seltsam, fuhr es ihr durch den Sinn.
Sie sind größer als wir; es mangelt ihnen also nicht an Platz für ein Gehirn. Und ihre großen Augen …Ob
sie uns
irgendwann einmal gesehen haben? Masklin meinte, daß wir hier schon seit Jahrtausenden leben.
Nicht ›hier‹
im Steinbruch, sondern ›hier‹ auf dieser Welt. Zeit genug selbst für Menschen, uns zu bemerken.
Ihnen muß klar gewesen sein, daß wir richtige Leute sind.
Aber in ihrer Phantasie haben sie uns in Kobolde und Elfen verwandelt. Um ihre Welt nicht mit uns teilen zu müssen?
Der Gefangene erwiderte Grimmas Blick.
Könnten
wir sie mit ihnen teilen?
überlegte sie. Die Menschen
leben in einer großen langsamen Welt; unsere ist klein und schnell. Darüber hinaus scheint keine Verständigung möglich zu sein. Sie sehen uns nicht einmal, es sei denn, wir stehen ganz still, so wie ich jetzt. Wenn wir uns bewegen, nehmen sie höchstens Schemen wahr. Sie bezweifeln unsere Existenz.
Grimma sah auch weiterhin in die großen, furchterfüllten Augen.
Wir
haben nie versucht –
wie nannte man es? – miteinander
zu kommunizieren. Jedenfalls nicht wirklich. Nicht wie richtige Leute mit richtigen Gedanken. Wie können wir den Menschen mitteilen, daß wir tatsächlich existieren und tatsächlich hier sind?
Andererseits: Wenn man auf dem Boden lag, gefesselt von kleinen Leuten, an die man nicht glaubte – vermutlich eigneten sich solche Umstände kaum für den Anfang einer echten Kommunikation.
Vielleicht sollten wir zu einem anderen Zeitpunkt damit
Weitere Kostenlose Bücher