Die Schlacht der Nomen: Trucker, Wühler, Flügel
aufbrechen, um nach ihnen zu suchen. Die Vorstellung, durch Schnee und Nacht zu stapfen, erfüllte sie zwar nicht mit Begeisterung, aber sie hatten das Verwalterbüro dennoch verlassen, um draußen Ausschau zu halten.
Die Nomen jubelten, als sie erfuhren, daß alle Vermißten überlebt hatten, und angesichts der allgemeinen Freude vergaß Grimma fast den Umstand, daß sie sicher zu einem sehr unsicheren Ort zurückgekehrt waren. Das Buch mit den Sprichwörtern enthielt einen Satz, der alles zusammenfaßte. Es ging dabei um Regen und eine Traufe, was auch immer das sein mochte. Grimma führte die Rettungsgruppe ins Büro und hörte zu, als Sacco das Abenteuer in allen Einzelheiten beschrieb und sich dabei immer wieder unterbrechen mußte, um Zwischenfragen zu beantworten. Er schilderte, wie der erschrockene Dorcas aus dem Lastwagen sprang und gerade noch rechtzeitig von den Schienen getragen wurde, bevor der Zug herankam.
Anschließend erzählte er vom langen Marsch bis zum Weg. Es klang alles überaus mutig und aufregend.
Und sinnlos,
dachte Grimma, doch diesen Gedanken behielt sie für sich.
»Eigentlich war es gar nicht so schlimm«, sagte Sacco. »Ich meine, vom Laster blieb kaum etwas übrig, aber der Zug blieb auf den Gleisen. Wir haben alles genau gesehen«, beendete er seinen Vortrag. »Und ich bin halb verhungert.« Sein strahlendes Lächeln verblaßte wie das Tageslicht nach dem Sonnenuntergang.
»Es gibt nichts zu essen?« fragte er.
»Noch viel weniger«, antwortete ein Nom. »Wenn du uns Brot besorgst, könnten wir es mit Schnee belegen.« Sacco dachte darüber nach.
»Die Kaninchen«, sagte er. »Die Kaninchen auf dem Feld…«
»Es ist dunkel draußen«, murmelte Dorcas. Er schien über irgend etwas nachzudenken.
»Äh, ja«, gestand Sacco ein.
»Und im dunklen Draußen treibt sich ein Fuchs herum«, warnte Nooty.
Grimma entsann sich an ein anderes Sprichwort. »In der Not frißt der Teufel Fliegen.« Die anderen Wichte musterten sie im unsteten Schein brennender Streichhölzer.
»Der Teufel?« Nooty runzelte die Stirn. »Wer ist das?«
»Eine schreckliche Person, die tief im Boden lebt, an einem sehr heißen Ort«, erklärte Grimma. »Glaube ich.«
»Wie der Kesselraum im Kaufhaus?«
»Vielleicht.«
»Und er frißt Fliegen?« erkundigte sich Sacco verwundert.
»Ich bezweifle, ob er wirklich Fliegen verspeist«, sagte Grimma. »Wahrscheinlich bedeutet es: Wenn man überhaupt nichts hat, begnügt man sich mit Dingen, die man sonst verschmäht.«
»Aber ausgerechnet Fliegen …« Dorcas hüstelte. Er wirkte beunruhigt. Nun,
alle
waren beunruhigt, doch als die Beunruhigung verteilt wurde, hatte der Ingenieur offenbar eine doppelte Portion erhalten.
»Na schön«, brummte er.
Irgend etwas in seiner Stimme weckte die Aufmerksamkeit der Nomen.
»Begleitet mich«, sagte er. »Und glaubt mir: Ich bedauere sehr, daß dies nötig wird.«
»Wohin sollen wir dich denn begleiten?« fragte Grimma.
»Zu den alten Schuppen an der Klippe«, erwiderte Dorcas.
»Aber sie könnten jederzeit einstürzen. Du hast immer wieder darauf hingewiesen, wie gefährlich sie sind.«
»Das stimmt auch. Sie
sind
gefährlich. Sie enthalten viele Dinge, die Kinder nicht anrühren sollten und so …« Der Ingenieur zupfte sich nervös am Bart.
»Aber«, sagte er. »Aber es gibt dort auch noch etwas anderes. Etwas, an dem ich gearbeitet habe. In gewisser Weise.« Er begegnete Grimmas Blick. »Etwas, das
mir
gehört. Nie zuvor habe ich etwas Phantastischeres gesehen. Es ist noch besser als Frösche in einer Blume.« Er hüstelte erneut. »Wie dem auch sei: Dort mangelt es nicht an Platz. Der Boden besteht nur aus Erde, doch die Schuppen sind groß, und, äh, man kann sich dort gut verstecken.«
Das Schnarchen des Menschen ließ die ganze Hütte erzittern.
»Außerdem möchte ich dem Ding dort nicht mehr so nahe sein«, fügte Dorcas hinzu.
Die anderen Nomen murmelten zustimmend. »Habt ihr euch schon überlegt, was ihr damit anstellen wollt?« fragte der Ingenieur.
»Einige von uns wollten den Gefangenen töten, aber ich halte das nicht für eine gute Idee«, antwortete Grimma. »Die übrigen Menschen wären sicher sehr verärgert.«
»Darüber hinaus scheint es nicht richtig zu sein«, sagte Dorcas.
»Ich weiß, was du meinst.«
»Nun, was fangen wir mit ihm an?«
Grimma sah in das riesige Gesicht. Alles war riesig: jede Pore, jedes einzelne Haar. Seltsam: Für kleinere Geschöpfe, zum Beispiel für Ameisen,
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