Die Schlacht der Nomen: Trucker, Wühler, Flügel
beziehungsweise Nominnen – ebenso intelligent waren wie ihre männlichen Kollegen. (Obwohl es kaum jemanden gab, der das
nicht
für absurd hielt. Alle wußten: Wenn man Frauen ermunterte, zuviel zu denken, überhitzten sich ihre Gehirne.) Irgendwie klappte es. Der Lastwagen verließ das Kaufhaus, bevor dort ein geheimnisvolles Feuer ausbrach, und er richtete verhältnismäßig wenig Schaden an, als man ihn aus dem Ort steuerte.
Die Wichte fanden einen verlassenen Steinbruch, richteten sich in baufälligen Hütten ein und wußten plötzlich, daß alles
in Ordnung
war. Angeblich stand ihnen nun eine strahlende Morgendämmerung der Hoffnung bevor.
Natürlich hatten die meisten Nomen keine Ahnung, was eine Morgendämmerung war, ob strahlend oder nicht. Andernfalls hätten sie gewußt, daß auf ›strahlende Morgendämmerungen‹ häufig bewölkte Tage folgen. Mit vereinzelten Schauern.
Sechs Monate verstrichen … Dies ist die Geschichte des Winters. Es ist die Geschichte vom Großen Kampf.
Es ist die Geschichte vom Erwachen Jekubs, des Drachens im Hügel: seine Augen wie große Augen, seine Stimme wie eine laute Stimme, seine Zähne wie lange Zähne.
Aber die Geschichte fand dort kein Ende. Sie begann auch nicht an jener Stelle.
Der Wind toste. Der Wind heulte. Der Wind wurde zu einem gewaltigen Besen, der übers Land fegte, stapfte mit Böen-Füßen umher. Kleine Bäume neigten sich zur Seite. Große Bäume knickten. Die letzten Blätter des Herbstes wirbelten wie verirrte Geschosse durch die Luft.
Nichts Lebendiges rührte sich auf der Müllhalde bei den Kiesgruben. Normalerweise patrouillierten dort Möwen, aber jetzt hatten sie irgendwo Zuflucht gesucht. Trotzdem waren die Abfallhaufen in Bewegung. Der Wind fuhr mit solchem Ungestüm hinein, als hegte er einen besonderen Groll gegen Waschpulverpakete und alte Schuhe. Konservenbüchsen rollten umher und klackten kummervoll aneinander, während leichtere Dinge emporwirbelten und sich dem Chaos am Himmel hinzugesellten.
Der Wind grub tiefer. Papier raschelte eine Zeitlang, gab dann den Widerstand auf und ließ sich fortreißen. Ein Fetzen flatterte schon seit Stunden, und jetzt löste er sich, segelte davon. Er wirkte wie ein großer weißer Vogel mit rechteckigen Flügeln.
Seht nur, wie er hin und her schwankt…
Für einige Sekunden verfängt er sich an einem Zaun. Die Hälfte reißt ab, und der Rest ist nun leichter, schwirrt über die Furchen des Ackers hinweg … Er wird schneller, doch plötzlich ragt eine Hecke auf und fängt ihn wie eine Fliege.
Und Sonderbares geschah zu jener Zeit Die Luft bewegte sich viel schneller als sonst; die Wärme des Himmels ließ nach; und manchmal trugen die Pfützen am Morgen eine harte, kalte Schicht. Und die Wichte fragten sich: Was bedeutet das alles?
Aus dem
Buch der Nomen,
Steinbrüche,
Kapitel 1, Verse III
Kapitel 1
»Winter«, sagte Masklin fest. »Man nennt es Winter.« Abt Gurder runzelte die Stirn.
»Du hast nicht gesagt, daß uns so
etwas
erwartet«, klagte er.
»Es ist
kalt.«
»Dies soll kalt sein?« erwiderte Oma Morkie. »Kalt? Es ist nicht kalt. Wenn du glaubst, es sei kalt, dann weißt du überhaupt nicht, was es mit richtiger Kälte auf sich hat!« Sie fand Gefallen daran, merkte Masklin. Oma Morkie mochte das Katastrophale und Unheilvolle; sie
genoß es.
»Die richtige Kälte kommt erst, wenn’s richtig kalt wird. Richtige Kälte heißt Frost und läßt das Wasser in gefrorenen Stücken vom Himmel fallen.« Sie lehnte sich triumphierend zurück. »Na, was sagst du dazu? Hm?«
Gurder seufzte. »Du brauchst nicht so mit uns zu reden wie mit kleinen Kindern. Immerhin können wir
lesen.
Wir wissen, was Schnee ist.«
»Ja«, bestätigte Dorcas. »Im Kaufhaus gab’s Plakate mit Bildern drauf. Zu Weihnachten. Der Schnee ist uns keineswegs unbekannt. Er glitzert.«
»Und mit dem Schnee kommen die Rotkehlchen«, warf Gurder ein.
»Nun, äh, der Winter beschränkt sich nicht nur darauf«, sagte Masklin.
Dorcas winkte ab. »Ich glaube, wir brauchen uns keine Sorgen zu machen. Hier sind wir geschützt. Wir haben genug Nahrung und können uns mehr beschaffen, falls das erforderlich werden sollte. Wenn es sonst nichts mehr zu besprechen gibt…
Ich schlage vor, wie schließen die Versammlung.«
Alles lief gut. Oder zumindest nicht sehr schlecht. Natürlich kam es zwischen den einzelnen Familien häufig zu Streit und Zank, aber das lag nun mal in der nomischen Natur. Aus diesem Grund hatten sie den
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