Die Schlacht der Nomen: Trucker, Wühler, Flügel
Rat geschaffen – und er schien auch zu funktionieren. Die Nomen stritten sich gern, und der Fahrerrat gab ihnen eine Möglichkeit dazu: Bei den Versammlungen konnten sie sich nach Herzenslust zanken, ohne dabei übereinander herzufallen.
Eigentlich komisch. Im Kaufhaus hatten sich die großen Abteilungsfamilien um alles gekümmert, doch jetzt verloren familiäre Unterschiede immer mehr an Bedeutung – unter anderem deshalb, weil im Steinbruch keine Abteilungen existierten. Andererseits … Eine Art Instinkt sorgte dafür, daß Nomen Hierarchie anstrebten. Ihre Welt war immer geteilt und damit übersichtlich gewesen: Auf der einen Seite standen jene Wichte, die Anweisungen erteilten – und die Nomen auf der anderen Seite gehorchten ihnen. Jetzt trat allmählich eine neue Gruppe von Anführern in Erscheinung. Die Fahrer.
Es hing ganz davon ab, wo man sich während der Langen Fahrt aufgehalten hatte. Die Wichte im Führerhaus des Lastwagens waren Fahrer, die übrigen schlicht und einfach Passagiere. Man sprach kaum darüber, und es handelte sich nicht um eine offizielle Klassifizierung. Aber praktisch alle Nomen vertraten folgende Ansicht: Wer imstande war, den Lastwagen vom Kaufhaus bis
hierher zu
steuern, kannte den
richtigen Weg.
Es machte nicht unbedingt Spaß, ein Fahrer zu sein. Im vergangenen Jahr, bevor ein Laster sie zum Kaufhaus brachte, mußte Masklin jeden Tag auf die Jagd gehen. Jetzt jagte er nur noch, wenn er sich eine Abwechslung wünschte. Die jüngeren Kaufhaus-Wichte jagten gern, doch für Fahrer schien so etwas nicht
richtig
zu sein. Sie gruben nach Kartoffeln und ernteten viel Korn auf dem nahen Feld, obgleich dort die Maschinen der Menschen umherrollten. Es wäre Masklin lieber gewesen, wenn die Nomen ihre Nahrung selbst angebaut hätten, doch im felsigen Boden des Steinbruchs wollte nichts wachsen. Wie dem auch sei: Für alle gab es genug zu essen, und nur darauf kam es an.
Masklin spürte, wie rings um ihn herum Tausende von Wichten lebten, Kinder aufzogen und sich immer mehr
zu Hause
fühlten.
Er kehrte zu seinem Bau unter einer der wackligen Hütten zurück, rang dort mit sich selbst und holte schließlich das
Ding
hervor.
Es glühten keine Lichter daran. Natürlich nicht: Nur in der Nähe von elektrischen Drähten erwachte es, um dann eine seltsame Stimme erklingen zu lassen. Es gab einige Kabel im Steinbruch, und es war Dorcas gelungen, ihnen Elektrizität zu entlocken. Aber bisher hatte Masklin darauf verzichtet, das
Ding
neben einen solchen Draht zu legen. Häufig sprach es auf eine Weise, die ihn beunruhigte.
Er zweifelte kaum daran, daß der schwarze Kasten ihn trotzdem hören konnte.
»Der alte Torrit ist letzte Woche gestorben«, sagte Masklin nach einer Weile. »Wir waren ein bißchen traurig, aber wenigstens starb er einfach so, als Greis. Ich meine, er wurde nicht gefressen, überfahren oder zertreten.«
Masklins kleiner Stamm hatte an der Böschung einer Autobahn gelebt, am Rand einer hügeligen Landschaft voller Tiere, die nie frisches Nomenfleisch verschmähten. Es war eine völlig neue Vorstellung für sie, daß man sterben konnte, weil man nicht mehr lebte.
»Wir haben ihn auf dem Kartoffelfeld begraben, tief genug für den Pflug. Die Kaufhaus-Wichte stehen Begräbnissen noch immer skeptisch gegenüber. Vielleicht glauben sie, daß der alte Torrit Knospen oder so hervorbringt. Ich nehme an, sie verwechseln das mit Samen. Sie verstehen nichts vom Anbau, weil sie ihr ganzes Leben im Kaufhaus verbrachten. Hier draußen ist alles neu für sie. Dauernd beklagen sie sich über Nahrung, die aus dem Boden kommt; sie halten das für unnatürlich.
Und sie sind davon überzeugt, daß der Regen aus einer Sprinkleranlage stammt. Vermutlich glauben sie, die Welt sei nur ein größeres Kaufhaus. Äh.« Masklin blickte eine Zeitlang auf den schweigenden schwarzen Kasten hinab und überlegte, ob und wie er seinen Monolog fortsetzen sollte.
»Nun, es gibt jetzt niemanden mehr, der älter ist als Oma Morkie«, sagte er schließlich. »Was bedeutet, daß sie Anspruch darauf hat, an den Sitzungen des Rates teilzunehmen. Abt Gurder erhob Einwände und meinte, Frauen sind bei den Versammlungen nicht zugelassen. Als wir ihn aufforderten, mit Oma darüber zu reden, schüttelte er hastig den Kopf. Woraus ich den Schluß ziehe, daß sie nun zum Rat gehört. Äh.« Er betrachtete seine Fingernägel. Das
Ding
hörte auf eine irgendwie verunsichernde Weise zu.
»Alle denken besorgt an den
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