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Die schlafende Armee

Die schlafende Armee

Titel: Die schlafende Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zuvor. »Immerhin sind Sie noch am Leben, oder?« Hartmann maß ihn mit einem Blick, in dem sich Zorn und Verachtung mischten. »Ja«, sagte er gepreßt. »Die Frage ist nur, ob wir uns darüber freuen sollen.« »Was ist los mit Ihnen, Hartmann?« fragte Charity ruhig. »Bisher haben sie uns nichts getan.« »Sie sagen es!« grollte Hartmann. »Bisher!« »Was soll denn das?« mischte sich Net ein. »Hassen Sie diese Menschen so sehr - oder haben Sie einfach nur Angst?« Hartmann bedachte sie mit einem Blick, als wäre er sich nicht schlüssig, ob die Wasteländerin es überhaupt wert sei, eine Antwort zu erhalten. »Ja«, gestand er. »Ich habe Angst. »Bisher haben sie uns nichts getan«, sagte Skudder. »Freuen Sie sich bloß nicht zu früh«, antwortete Hartmann. »Wir wären nicht die ersten, die von den Dreckfressern getötet werden würden.« »Warum nennen Sie sie so?« fragte Skudder. »Dreckfresser?« »Weil sie nichts anderes sind!« erwiderte Hartmann haßerfüllt. »Schauen Sie sich doch um!« Er machte eine zornige Geste in den angrenzenden Kellerraum hinaus. »Sie leben wie die Tiere!« »Vielleicht leben sie einfach nur anders«, sagte Charity. Sie war wieder zur Tür zurückgegangen, hatte den Raum aber nicht verlassen, sondern sich gegen den Rahmen gelehnt und blickte nachdenklich hinaus. Was sie sah, kam ihr immer verwirrender vor. Auf den ersten Blick schien die Ansammlung zerlumpter, schmutzstarrender Gestalten in dem gewaltigen Geviert aus Beton Hartmanns Worte zu bestätigen; hier und da gewahrte sie zwar Aktivität, aber die meisten saßen einfach nur reglos da und starrten dumpf ins Leere. Sie mußte wieder an Jared denken und den sonderbaren Ausdruck in seinen Augen; eine Leere, die vielleicht nur der Ausdruck eines völlig anderen, fremdartigen Denkens war. Vielleicht, dachte sie, hatte Hartmann sogar Recht - wenn auch auf vollkommen andere Art und Weise, als er selbst ahnte. Diese Männer und Frauen hier mochten die Nachkommen derer sein, die die Verheerung vor einem halben Jahrhundert irgendwie überlebt hatten. Es war schwer, unter all dem Schmutz und dem langen, verfilzten Haar und den Lumpen Einzelheiten zu erkennen, aber Charity glaubte zumindest zu sehen, daß viele der Gestalten verkrüppelt waren. Manche bewegten sich sonderbar falsch und umständlich, andere hatten Buckel oder unterschiedlich lange Gliedmaßen. Charity sah eine junge Frau, deren Gesicht fast zur Gänze unter einem grauschwarzen, wucherndem Gewächs verschwunden war, und eine andere, die keine Beine hatte, sich aber sehr geschickt und schnell auf Fäusten und Kniestümpfen bewegte. Charity wandte sich zu Hartmann um und wiederholte die Frage, die Net vor einer Minute gestellt hatte: »Warum hassen Sie sie so, Hartmann?« Statt sie anzufahren, wie sie es fast erwartet hatte, sah Hartmann sie nur müde an. »Das tue ich gar nicht«, sagte er. »Vielleicht fürchte ich sie. Wir alle fürchten sie.« »Diese harmlosen Wilden?« Kyle machte eine unbestimmte Geste auf die Wilden draußen. »Sie wollen mir doch nicht im Ernst erzählen, daß diese Menschen eine Gefahr für Sie darstellen?« »Doch«, antwortete Hartmann ernst. »Ich weiß, daß sie einen anderen Eindruck erwecken - aber sie sind gefährlich. Sie haben mehrere von unseren Horchstationen überfallen. In der Basis ist kaum jemand, der nicht einen Freund oder einen Verwandten durch sie verloren hätte.« »Aber es sind Wilde!« widersprach Skudder. »Sie haben nicht einmal Waffen. Mit ihren Keulen und Speeren...« »Sie haben doch erlebt«, unterbrach ihn Hartmann, »was sie mit unserem Wagen gemacht haben. Unterschätzen Sie sie nicht. Ich kämpfe seit fünfzig Jahren gegen sie, und ich weiß bis heute nicht, wer diesen Krieg gewinnen wird.« »Fünfzig Jahre?« Net sah den Leutnant mit unübersehbarem Spott an. »Aber Sie sind doch kein Jahr älter als vierzig.« »Ich bin zweiundvierzig«, sagte Hartmann mit einem flüchtigen Lächeln. »Sie haben einen Schlaf tank«, vermutete Gurk. Hartmann nickte. »Wir besetzen die Außenstationen immer im Wechsel - neun Jahre Schlaf, ein Jahr Wache. Und das ist schon fast mehr, als man aushallen kann.« Net und auch Skudder blickten Hartmann und seine beiden Begleiter überrascht an, aber Charity empfand nur eine leise Verwunderung, daß sie nicht selbst darauf gekommen war. Die Selbstverständlichkeit, mit der Hartmann über ihren eigenen Aufenthalt im Schlaf tank geredet hatte, hätte

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