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Die schlafende Armee

Die schlafende Armee

Titel: Die schlafende Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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herab und streckte dann langsam die Hände aus. Hartmann sog scharf die Luft ein, sagte aber nichts. Die Finger des Mädchens glitten langsam über das Gesicht des Technikers, tasteten über seine Wangen, seine Lippen, seine Nase und seine geschlossenen Augen, zeichneten Kreise und komplizierte, ineinanderfließende Muster auf seine Stirn und seine Schläfen. Weder Charity noch einer der anderen konnte erkennen, was es wirklich tat - aber nach einer Weile beruhigte sich der rasselnde Atem des Verletzten. »Was tut sie?« fragte Charity. Unwillkürlich hatte sie ihre Stimme zu einem Flüstern gesenkt. Ebenso leise antwortete Jared: »Euer Freund ... ist ... sehr krank.« »Ich weiß«, antwortete Charity. »Er wird sterben.« »Nein«, sagte Jared. »Er kann ... leben.« Nicht nur Charity wandte sich verblüfft zu Jared um und sah ihn an. Wie bei ihrem ersten Zusammentreffen sprach Jared langsam und mit großen Pausen zwischen den einzelnen Worten. Aber jetzt erst fiel Charity auf, daß er englisch gesprochen hatte - in ihrer Muttersprache, die er eigentlich gar nicht beherrschen durfte. »Wie meinst du das?« fragte sie verblüfft. »Wenn ihr ... wollt«, antwortete Jared langsam, »dann ... lebt er ... weiter. Aber nicht als ... Blinder.« »Als Blinder?« wiederholte Charity verwirrt. »Was...« »Wir können ... ihn ... retten«, unterbrach sie Jared. »Er wird ... Jared. Als Blinder ... stirbt er.« Nun verstand Charity überhaupt nichts mehr. Und ein rascher Blick in Hartmanns Gesicht zeigte ihr, daß es dem Deutschen nicht anders erging. Aber während sie einfach nur Verwirrung empfand, verdunkelte sich Hartmanns Gesicht vor Zorn und Mißtrauen. Rasch, ehe der Leutnant etwas sagen oder tun konnte, fuhr sie fort: »Ich fürchte, ich verstehe nicht. Wieso wird er zu dir?« Jared schüttelte den Kopf. In einer übertrieben pantomimischen Geste hob er die Hand, spreizte die Finger und legte sie auf seine Brust. »Ich bin ... Gyell«, sagte er. »Wir sind... Jared.« Damit vollführte er mit der anderen Hand eine kreisende Bewegung, und endlich verstand Charity. »Euer Volk nennt sich Jared«, vermutete sie. »Und wir sind die Blinden.« Gyell nickte und schüttelte fast in der gleichen Bewegung den Kopf. Mit einem Lächeln, das bei der sonderbaren Leere seines Blickes eher erschreckend als beruhigend wirkte, deutete er auf Hartmann und seine beiden Begleiter. »Sie sind ... blind, sagte er. »Ihr nicht.« »Und ihr ... könnt diesen Mann retten?« fragte Charity zögernd. »Wenn ihr ihn zu einem der euren macht?« »Er wird ... sehen«, bestätigte Gyell. »Einen Moment!« sagte Hartmann scharf. Mit einem zornigen Schritt trat er neben Charity und machte eine herrische Handbewegung auf das Mädchen und den verwundeten Techniker. »Ich werde ganz bestimmt nicht zulassen, daß ihr ihn zu einer ... Kreatur wie euch macht!« Gyells leere Augen wandten sich Hartmann zu und musterten ihn auf eine Art, die Charity schaudern ließ. »Dann ... stirbt ... er«, sagte er ruhig. »Das ist immer noch besser, als...« »Halten Sie endlich den Mund, Hartmann!« unterbrach ihn Charity scharf. »Wollen Sie, daß der Mann stirbt?« »Wollen Sie, daß er so wird wie diese...« Er suchte sichtlich nach Worten. »Diese Tiere!« stieß er schließlich hervor. »Sie sind ein Narr, Hartmann«, sagte Kyle ruhig. »Ich weiß nicht, wer oder was diese Jared sind - aber sie sind ganz bestimmt keine Tiere. Selbst Sie sollten das mittlerweile erkannt haben.« Hartmanns Gesicht färbte sich allmählich dunkelrot. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, und eine Sekunde lang sah es so aus, als wolle er sich einfach auf den Megamann stürzen. Dann schürzte er trotzig die Lippen. »Ich verbiete es!« sagte er. »Dieser Mann untersteht meinem Befehl. Niemand wird ihn anrühren, solange ich es nicht ausdrücklich erlaube.« »Ich glaube nicht«, sagte Charity ruhig, »daß Sie oder ich hier irgend etwas zu befehlen haben, Leutnant Hartmann.« Hartmann antwortete nicht darauf, aber sie sah, wie Lehmann und nach kurzem Zögern auch Felss sich von ihren Plätzen lösten und neben den verletzten Techniker und das Mädchen traten. Felss wirkte unschlüssig und wich ihrem Blick aus, aber auf Lehmanns Gesicht lag ein grimmiger Ausdruck. Charity musterte die beiden Soldaten eine Sekunde lang, dann drehte sie sich wieder zu Gyell herum, wobei sie Kyle und Skudder einen raschen Blick zuwarf. Die beiden verstanden und näherten

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