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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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direktem Wege wichtige Punkte. Die Ausgänge sind oft ganz unauffällig hinter ganz normalen Türen oder unter Treppen. Einige Einstiege sind in Brunnen, einige in den Hauskellern. Sie sind alle mit einem Dreieck markiert.“
    Darius sah jetzt, dass die ganze Karte mit vielen dieser kleinen Dreiecke geradezu übersäht war. Er konnte sich kaum vorstellen, dass es überall dort in den Untergrund gehen sollte.
    „Sie erinnern sich doch gewiss an die dunkel gekleideten Wächter in ihren schwarzen Kutten? Man sieht sie, wenn überhaupt, niemals durch die Straßen ziehen – jedenfalls höchst selten. Sie tauchen einfach auf, verharren in ihrer Position und verschwinden wieder. Dies hier ist die Erklärung.“
    Darius starrte nervös auf die Karte. Mitten in den heimischen Klostermauern, am Rande des Observatoriums, war ein Dreieck eingezeichnet.
    „Ja. sie sind mitten unter uns. In unseren Straßen, in unseren Häusern. Wir sind nie allein.“
    Darius schauderte bei dem Gedanken, wie oft er schon während seiner Arbeit, während seines Schlafes angestarrt worden sein mochte.
    „Nicht alle dieser Wege aber sind Jenen bekannt. Das Netzwerk jener unterirdischen Kanäle ist alt. Vor Äonen von Jahren ist es bereits angelegt worden. Der Zweck ist unklar. Einige dienten sicherlich der Bewässerung. Wir nehmen an, dass es ein großes Wasserreservoir im Kern des Berges gibt, das die Quellen und Brunnen der Stadt speist. Von dort stammt vermutlich auch die Energie für unser Laternenlicht und die Rohrpost. Das Netzwerk ist aber in der letzten Zeit erweitert und modernisiert worden. Vielleicht mit dem Anwachsen des Überwachungsapparates.“
    Darius sah überrascht auf. „Hat sich dies denn verändert?“
    „Ja, das hat es. Wir wissen nicht, woher es kommt, woher sie kommen. Es kam ganz plötzlich. Auf einmal waren sie da, und es wurden immer mehr. Niemandem fiel es auf, nur einigen wenigen. Wir wissen nicht, warum. Irgendein Ereignis, irgendeine Entwicklung muss es gegeben haben, die unserem gedämpften Geist verborgen geblieben ist. Einige wenige, wie Sie und ich, haben es schließlich gemerkt, nur viel zu spät. Sie haben die Stadt unterwandert und sind die heimlichen Herrscher. Sie glauben vermutlich, auch souverän zu sein, alles in der Hand zu haben. Letztendlich haben sie auch allen Grund dazu. Doch auch sie sind nur ein Teil des Großen Ganzen. Sie unterliegen den gleichen Gesetzen, wie wir alle. Und wir alle kommen von irgendwo her. Und wir verfolgen unsere Gewohnheiten, etwas Vertrautes, das wir von jenem Vergangenen her kennen. Daher fügen wir uns auch so selbstverständlich ein in dieses Dasein hier, ohne Fragen, ohne Zweifel.“
    Darius versuchte, konzentriert zuzuhören, war aber bereits wieder in die Karte vertieft. Seine Aufmerksamkeit galt der Bibliothek, die offenbar auch unterirdisch an das Netzwerk der Kanäle angeschlossen war. Allerdings fehlten die Geheimgänge innerhalb des Gebäudes. Was Darius aber besonders fesselte, war die direkte Verbindung von dort zu den Verwaltungsgebäuden am Hafen. Der Zugang zu allen Akten über die Einwohner!
    „Ich möchte Ihnen jemanden vorstellen.“
    Uriel erhob sich und ergriff den Kerzenleuchter. „Die Karte ist für Sie. Wir haben genügend Kopien gemacht. Kommen Sie.“
    Darius folgte ihm die Treppenstufen hinunter. Uriel sperrte eine kleine Tür im Erdgeschoss auf und sie gingen über einige schmierige Stufen in einen Keller hinunter, der sich feucht und kalt anfühlte. Darius fühlte wieder dieses unerklärliche Schaudern, das er stets mit Kälte verband. Er fror nicht, es war eine eigenartige Angst, die sich sofort meldete.
    Uriel schien aber keinerlei Gefahr zu wittern. Er ging auf eine Seitennische zu. Dort saß ein Mann.
    „Dies ist Erik. Er kennt sich bestens im unterirdischen Kanalsystem aus. Ihm verdanken wir die meisten Informationen auf dem Stadtplan, den Sie in Händen halten.“
    Erik lächelte verhalten. Es sah eher aus wie ein Grinsen, denn er sah außerordentlich hässlich aus. Seine Wangen waren eingefallen, so dass seine Wangenknochen wie scharfe Zacken hervorstanden, als seien sie kurz davor, die pergamentene Haut zu durchstoßen. Seine Augen traten groß hervor und wirkten durch die schwarzen Augensäcke darunter noch glotzender als ohnehin schon. Sein großer Oberkiefer zeigte ein großes Gebiss mit langen, verfärbten Zähnen, die beim Lächeln vollständig freilagen, zusammen mit einem großen Teil des grauen Zahnfleisches, das sich

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