Die schlafende Stadt
nur ein einziges, zusammengeknülltes Dokument. Darius fischte es aus dem mit rissigem Lack bedeckten Behälter. Es enthielt eine Art Formblatt, das offenbar weggeworfen worden war, weil die Feder einige große Tintenkleckse auf das faserige Papier gemacht hatte.
Es enthielt folgende Matrix:
Darius runzelte die Stirn. Es handelte sich offenbar um eine Art Karteikarte, mit der die Bürger dieser Stadt erfasst wurden. Das Formular machte einen eigenartigen Eindruck auf ihn. Verwirrend und bedrohlich. Was mochte mit „Originalname“, gemeint sein? Wurden hier Namen verändert? Führte auch er einen „zugewiesenen Namen“? Das würde ja womöglich bedeuten, dass er gar nicht Darius hieß. Nein, es musste eine andere Funktion haben, deren Sinn er noch nicht durchschaute. Das gleiche galt für den „zugewiesenen Beruf“. Er war Astronom, dessen war er sich ausnahmsweise sicher.
Die Felder „Betreuer“, und „Dosis“, wusste er ebenfalls nicht zuzuordnen. Bei näherem Hinsehen wurde er unruhig. Das ganze Formular wirkte eher wie ein Krankenblatt als ein Registrierungsformular. Aber womöglich war es das sogar?
Darius durchstöberte noch einige Schubladen, die sämtlich leer waren. Entweder man hatte hier kaum zu tun, oder der Beamte war außerordentlich effektiv, indem er nichts liegen ließ.
Darius machte sich auf den Weg ins nächste Zimmer. Auch dieses war sorgfältig gegen das einfallende Licht geschützt, die Fensterläden waren geschlossen. Hier waren sogar noch zusätzlich Vorhänge zugezogen. Ansonsten unterschied sich der Raum praktisch gar nicht von dem zuvor untersuchten. Ähnlich verhielt es sich mit dem nächsten. Ansonsten fand Darius nur noch eine Abstellkammer mit Besen, Aufnehmern und Putzeimern.
Darius nahm das nächste Stockwerk in Angriff. Das Treppenhaus am Ende des Ganges führte ihn in einen weiteren Korridor, der dem unteren zum Verwechseln ähnlich sah. Genauso verhielt es sich mit den Büros. Alle waren säuberlich aufgeräumt.
Im nächsten Stockwerk endlich fand Darius ein Büro, das sich zunächst nur durch die Größe deutlich von den anderen unterschied. Es war exakt doppelt so groß und hatte zwei Eingangstüren; offenbar waren zwei Räume miteinander verbunden worden. Vor die eine Tür war von innen ein Aktenregal gestellt worden.
Darius öffnete einen großen Schrank. Er enthielt mehrere große Kisten, in denen sich große Mengen jener Formulare befanden, die er aus dem Erdgeschoss kannte. Als aufschlussreicher jedoch erwies sich der wuchtige große Schreibtisch mit der ungewöhnlich eleganten Lampe, der den ganzen Raum beherrschte. Die zahlreichen Türen und Schubladen waren sämtlich mit polierten, filigranen und reich verschnörkelten Metallbeschlägen versehen. Die Lampe war pilzförmig, ebenfalls aus Metall, und war über und über mit metallenen, schimmernden Rosenblüten und ebensolchen Ranken verziert. Das ganze Gebilde wirkte stachelig und wuchernd, auch wenn der Schirm mit einem zarten, samtig anmutenden Tuch bespannt war. Es handelte sich wohl um den Arbeitsplatz eines hochgestellten, kunstliebhabenden Beamten. Davon kündete auch ein in schlichtem Rahmen aufgehängtes Bild an der Wand, das eine felsige Landschaft in gewittriger Stimmung zeigte.
Auf dem Tisch standen, säuberlich angeordnet, einige Stempel. Darius öffnete das Stempelkissen, das gleich daneben stand, und bedeckte die blanke Rückseite eines Formulars mit ihren Abdrücken:
Dazu fand er einen verstellbaren Datumsstempel und den amtlichen Stempel der Behörde:
Ausgefüllte oder gestempelte Formulare fand er auch hier nicht.
Eine gespenstische, drückende Atmosphäre hatte sich über den verlassenen Räumen ausgebreitet. Hinter diesen verschlossenen Türen und abgedunkelten Fenstern wurden Dinge vollbracht und veranlasst, die aus guten Gründen unter strengem Verschluss gehalten wurden. Noch nie zuvor war ihm so schonungslos bewusst gewesen, dass ein Heer unbekannter Augen jeden Bürger dieser Stadt womöglich bewachte, beobachtete, beurteilte und über ihn verfügte. Eine immer dünner werdende Stimme in seinem Inneren versuchte noch, dies als Hirngespinst abzutun. Er war durch die vielen neuen Eindrücke wahrlich überreizt und unruhig.
Da er nichts weiter Interessantes zu entdecken vermochte, wandte er sich wieder gen Korridor und inspizierte die anderen Räume. Wieder waren es die üblichen langweiligen Büros. Doch am Ende des Ganges wurde er fündig.
Die Tür, die den Gang beschloss,
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