Die schlafende Stadt
wir denn hier warten?“ fragte er unsicher.
„Es ist immer etwas gefährlich. Man weiß ja nicht, was gewisse Mitbürger im Schilde führen. Die Erfahrung zeigt, dass die Ausgänge mitten in der Stadt häufiger benutzt werden als entlegene Gänge wie diese hier. Seit einiger Zeit werden Verwaltungsbezirk und Bibliothek aber öfter frequentiert. Man meint offenbar, wachsam sein zu müssen. Aber es gibt genug Seitengänge, um ihnen aus dem Weg gehen zu können.“
„Dann sollten wir vielleicht nicht hier warten.“
„Hier ist es in der Tat ungünstig. Wir stecken in einer Sackgasse.“
Erik bedeutete Darius, ihm zu folgen. Dazu mussten sie die steile Treppe wieder hinaufsteigen, bis sie einen Knotenpunkt erreichten, wo sich gleich vier Wege voneinander trennten.
„Kreuzungen von dieser Art hier sind ideal“, sagte Erik. „Mit etwas Übung lässt sich genau ausmachen, woher sie kommen. Man schlägt sich einfach in einen der anderen Gänge.“
„Und wenn sie von mehreren Seiten kommen?“
„Unwahrscheinlich. Aber man sollte gewappnet sein. Ich zeige Ihnen etwas, was Sie können sollten.“
Behände wie eine Spinne krallte er sich in die Fugen des Mauerwerks und schwang sich in Sekunden an die Decke des Ganges. Mit gespreizten Armen und Beinen verharrte er dort im Dunkel des Gewölbes wie festgeklebt.
„Versuchen Sie es!“ sagte er.
Es kostete Darius mehrere Anläufe mit aufgeschürften Fingerkuppen und einigen abgebrochenen Nägeln, bis er seinen Körper in die Höhe gewuchtet hatte. Es klappte aber besser, als er sich dies jemals gedacht hätte. Schwer atmend drückte er seine Gliedmaßen an die Außenwände, die Gewölbedecke direkt im Rücken und blickte angestrengt unter sich.
„Ausgezeichnet!“ lobte Erik flüsternd, „das Ganze jetzt nur noch lautlos und ohne Japsen, und niemand wird Sie im Ernstfall bemerken.“ Lautlos ließ er sich wieder in den Gang hinab. Darius folgte keuchend.
Erik ließ Darius noch einige Male an verschiedenen Stellen des Höhlensystems die Decken erklimmen, bis er einigermaßen zufrieden war. Dann stellte er befriedigt fest, die Wartezeit sinnvoll genutzt zu haben und geleitete Darius zum Raum mit der Falltür zurück. Tatsächlich war niemand im unterirdischen Netzwerk zu hören noch zu sehen gewesen. Das runde Fenster oberhalb des Hafens hatte bereits helleres Licht erkennen lassen, so dass von einem leeren Gebäude auszugehen war.
Darius erklomm entschlossen die Sprossenleiter. Diesmal stieß er die Falltür ganz auf und lauschte. Es war vollkommen still. Entschlossen zwängte er sich durch die schmale Öffnung.
Der Raum war klein, aber hoch. Zahlreiche verstaubte Kisten stapelten sich an den Wänden, und einige Meter weiter lehnte an der Wand eine Art Aktenschrank, der bis an die Decke reichte und mehrere Reihen von Schubladen enthielt. Licht drang lediglich durch eine Türöffnung weiter hinten ein, denn der Raum war fensterlos.
Darius schlich lautlos an den Kisten vorbei. An der Türöffnung angekommen streckte er erst für Bruchteile einer Sekunde seine Hand ins Licht, um seine Intensität zu testen. Er merkte aber, dass das Licht schwach genug war, um ihn nicht zu verbrennen. Ein Blick durch die Öffnung hindurch zeigte ihm, dass das Licht ohnehin indirekt war und recht gleichmäßig einen langgestreckten Korridor erhellte, der sowohl am Ende als auch an beiden Seiten in regelmäßigen Abständen Türen aufwies. Welche Türen zu Zimmern mit Fenstern führten, die womöglich das gefährliche Sonnenlicht einließen, vermochte Darius noch nicht zu sagen.
Darius schritt vorsichtig den Korridor entlang. Er war ebenso vorsichtig wie unsicher. Wo nur sollte er suchen?
Wie er noch darüber nachdachte, entdeckte er, dass durch die Schlitze unter den Türen kaum Licht drang, obgleich der Spalt zwischen Tür und Boden oftmals beträchtlich war, und dass auch die Schlüssellöcher nur diffusen Schein hindurchließen. Ob die Außenfenster abgedunkelt waren? Entschlossen öffnete Darius eine der Türen.
Tatsächlich war es dunkel im Zimmer. Fensterläden waren vor dem eigentlichen Fenster fest geschlossen worden. Die Querlamellen verrieten, dass draußen gleißendes Sonnenlicht herrschen musste.
Darius sah sich um. Ein kärgliches, leidlich aufgeräumtes Büro bot sich seinem Blick. Ein schäbiger Schreibtisch, eine Regal mit Akten, die sich als langweilige Sammlung von Bestellzetteln erwiesen bezüglich Papier, Tinte und Heftklammern.
Der Papierkorb enthielt
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