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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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tun. Bin ich ein Feigling, wenn ich all dies nicht will? Und doch habe ich keine Wahl. Dies ist die dunkelste Zeit meines Lebens.

    Berthold legte sich bequem zurecht und blätterte weiter. Zwischendurch klangen die Berichte beschaulicher, manchmal geradezu fröhlich. Dankwart schrieb von Kameraden, Freunden und ihren Hoffnungen. Es war so, als hielte er sich an den guten Dingen zwischendurch fest, denn er erwähnte nebenbei den Tod zweier Soldaten seiner Einheit durch feindlichen Beschuss. Etwas Nüchternes hatte sich offenbar in Dankwart ausgebreitet. Vermutlich war dies das einzig Richtige.

    Dann stieß Berthold auf etwas Neues:

    23. Mai 1917

    Das Übel, das womöglich noch schlimmer ist als das angstvolle Ausharren im Schützengraben ist unser neuer Unteroffizier Heidegger.

    Berthold stutzte. Heidegger? Der Name stieß eine vage Erinnerung in ihm an, aber er vermochte nicht herauszufinden, an was er sich erinnerte.

    Heidegger ist ein widerwärtiger Kerl, und Gott möge mir vergeben, dass ich so über ihn denke. Doch ich habe mich redlich bemüht, seine guten Seiten zu suchen. Er nutzt seine Macht als Vorgesetzter in einer derart sadistischen Weise aus, dass ich nur noch Verachtung für ihn empfinde. Besonders unseren Kleinen, Martin, scheint er sich ausgesucht zu haben. Er demütigt ihn vor allen Kameraden, die sich alle nicht trauen, ihm Einhalt zu gebieten. Auch der stotternde Joseph gehört zu denen, an denen er seine ekelhafte Brutalität auslebt, der feiste Kerl. Dreimal hintereinander hat er ihn die Latrinen säubern lassen, und beim ersten Mal hat er ihn, weil er nicht zufrieden war, beim Kragen gepackt und mit dem Gesicht in den Kot gedrückt. Joseph hat geweint wie ein Kind. Er übergab sich mehrmals und schämte sich, weil er den Gestank tagelang nicht losbekam.
    Auch ich gehöre zu denen, die nichts sagen. Ich hasse mich dafür, aber ich weiß noch nicht, was für einen Rückhalt ich in der Truppe habe. Merkwürdigerweise ist Heidegger zu mir bisher recht freundlich.

    Berthold fühlte sich seltsam gefesselt. Klopfenden Herzens blätterte er weiter, überflog die Schilderungen des Truppenalltags, und selbst der Kämpfe. Er hielt jeweils dann inne, wenn er auf besagten Namen stieß.

    12. Juli 1917

    Heidegger hat ein neues Opfer. Ich kam von draußen, als ich Hartmut am Boden liegend vorfand. Alle standen betroffen um ihn herum, bis Kurt herumdruckste und mir später erzählte, dass Heidegger ihn in den Magen geschlagen und danach mehrfach in den Schritt und in die Nieren getreten hatte. Dazu habe er, wie immer wenn er solches tat, ganz genießerisch seinen Kaffee getrunken. Er scheint so etwas zu brauchen, auch, dass er so demonstriert, wie routiniert und lässig er jemanden fertigmachen kann.
    Hartmut soll sich gegen seine herablassende Art verwahrt haben. Aber ich weiß, dass Heidegger sich seine Gründe auch selbst schafft, wenn er seinen sadistischen Impulsen frönen will.
    Ich werde mir jedes Ereignis dieser Art säuberlich notieren. Sobald ich dazu Gelegenheit habe, werde ich seine Vorgesetzten informieren, am besten Hauptmann Tschurtschenthaler.

    03. August 1917

    Es hat Kampf gegeben, O Gott! Mir ist nichts passiert, aber ich habe drei Italiener erschossen, einen aus nächster Nähe! Sie liefen uns direkt in die Arme, als wir über einer Felsscharte zum Aufklären unterwegs waren. Er hatte schon das Gewehr auf mich gerichtet, doch ich kam ihm zuvor. Ich bin sicher, er hätte mich ebenso erschossen. O Gott, ich werde seine toten, starren Augen niemals vergessen!
    Albert, Rudi und Georg sind tot. Kurt hat einen Schuss in den Arm abbekommen. Aber auch Joseph ist tot, und Heidegger hat ihn umgebracht! Der Feind beschoss uns wie wild, da befahl er Joseph, als Aufklärer aus dem Schützengraben zu klettern und beschimpfte ihn auf unbeschreibliche Weise als Feigling. Jedem von uns war klar, dass dies so gut wie ein Todesurteil war. Am Ende hielt er ihm die Pistole an die Schläfe. Also bestieg Joseph die Leiter und stieg nach oben. Er war dort eine willkommene Zielscheibe für den Feind. Joseph war sofort tot, als der Schuss sein rechtes Auge durchschlug. Heidegger sagte dazu nur: „So ergeht es hier jeder Memme!“ Er wird für seine Untaten bezahlen, das schwöre ich. Ich bekenne: ich habe noch nie im Leben einen Menschen so gehasst wie ihn.
    Mit unseren Granatwerfern haben wir die feindlichen Truppen gehörig aufgemischt. Wir haben sie empfindlich getroffen. Wir sind darüber alle so

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