Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
Vom Netzwerk:
meines Mageninhaltes heraus.
    „Es ... es tut mir leid, Herr Unteroffizier.“ Das Sprechen fiel mir unendlich schwer im Angesichte der Schmerzen, die er mir bereitete.
    „Na also. Warum nicht gleich? Verdammtes Arschloch! Jammerlappen!“
    Bei den letzten Worten begann er endlich zu röcheln. Mir war so übel und schwindelig, dass ich kaum wahrnehmen konnte, was genau geschah. Aber ich lächelte. Gleich würde es vorbei sein mit ihm, diesem widerlichen Schlächter, diesem feigen Bastard. Er wand sich, riss an seinem Kragen, und seine Augen traten aus den Höhlen. Sein Gesicht verfärbte sich dunkel. Dann ging er selber in die Knie. Sein fetter Schädel mit den hervorgequollenen, blutunterlaufenen Augen und der schwarzen, dick geschwollenen Zunge landete direkt vor mir. Er begann zu zucken und zu strampeln. Dann würgte er grünlichen Schleim hervor von unbeschreiblichem Gestank. Sein stierer, von der Gewissheit des Todes panikerfüllter Blick bohrte sich in meine Augen. Ich kann mich nicht entsinnen, jemals etwas so Ekelhaftes gesehen zu haben.
    „Der arme Herr Heidegger!“ sagte Friedel spöttisch.
    „Da ist ihm doch irgendetwas gar nicht gut bekommen!“ ulkte Kurt.
    „Jetzt haben wir endlich Ruhe und Respekt in Bataillon 26! Genau wie befohlen!“ sagte Hans zynisch.
    Hartmut versetzte dem fetten Köper einen kräftigen Tritt in die Eingeweide. Es hörte sich an, als würde man eine Schnecke zertreten.
    Martin half mir auf und verfrachtete mich auf einen Stuhl.
    „Vernichtet den Kaffee!“ brachte ich hervor. Jakob machte sich sofort auf den Weg, um das Gift in die Latrine zu kippen. Hans und Friedel schleiften den toten massigen Körper Heideggers aus der Stube. Er sollte irgendwo im Durchgang gefunden werden.
    Heidegger war tot, und ich hatte mitgemacht, ihn umzubringen. Möge er zur Hölle fahren.

Überall sind sie, die Ratten der Nacht.
Sie strömen aus den Kanälen,
den dunklen Ecken, den modrigen Kellern.
Ihre roten Augen beobachten uns,
ihre feuchte Nase wittert uns,
um ihrer Gier, die keinen Aufschub kennt,
immer dann zu folgen,wenn wir es nicht ahnen.
Und je heller der Mond scheint,
desto dunkler sind die Schatten,
in denen sie sich verbergen.
    Jorge Ramón IBAÑEZ de la ROSA

    D arius fühlte seit seinem Besuch des Stadtarchivs eine nie zuvor gekannte Beklommenheit. Gewiss, seit einiger Zeit durchströmten ihn Gefühle jeder Art, die er zuvor vermeinte, nie gekannt zu haben. Diesmal jedoch wollte seine Unruhe nicht weichen. Umso schwerer fiel es ihm, so ruhig und unauffällig zu wirken, wie es nötig war. Die Beine, die seinen mühsam verlangsamten Schritt vollführten, waren hart und verspannt, um nicht zittern zu müssen. Sein Atem ging kurz und flach, und ständig fühlte er sich getrieben, sich umzusehen, ob nicht ein verborgenes Auge seine Schritte überwachte. Anstatt zu schlafen, starrte er oft stundenlang an die Decke des Gewölbes über seiner Bettstatt, lauernd, ob sich nicht eine rattenhafte Gestalt aus einem der geheimen Ausgänge herausschälte, um ihn zu betrachten und zu betasten. Angestrengt lauschte er, den Atem angehalten, ob nicht von draußen das Schleichen der dunklen Wächter hörbar wurde. Nachts, wenn er auf den Straßen unterwegs war, klebte die Angst wie zäher Kleister in seinem Hirn. Er hegte Befürchtungen, sein Atem sei weithin hörbar, sein verstörter Blick ziehe die Aufmerksamkeit aller auf sich, obwohl er wusste, dass dies sicherlich unwahrscheinlich sei. Seine Schritte schienen lauter zu hallen als jedes andere Geräusch, und die plötzliche Stille, die eintrat, wenn er anhielt, erschien ihm, als stände er unversehens in einem Lichtkegel, der seinen Aufenthalt allen Ghulen der Nacht verriet. Hinter jedem der stumpfen, dunklen Fenster argwöhnte er ein verborgenes Gesicht, ja die Häuser selbst hatten mit einem Male Gesichter und verfolgten ihn mit ihren Blicken. Sicher erschien ihm, dass hinter all den toten starren Mauern Wesen hockten, die wachsam und lauernd hinter ihm her starrten, glotzten, gierten.
    Die Menschen der Stadt wirkten teilnahmslos wie immer. Langsam und träge schlenderten sie die Straßen und Gehwege hinab und hinan, auf dem Weg zu unwichtigen, belanglosen Zielen, ohne Interesse, nur um des bloßen sinnlosen Tuns wegen. Keiner hatte eine Ahnung, dass Buch geführt wurde über ihn, dass Eigenarten, sofern überhaupt vorhanden, und jegliche Auffälligkeiten säuberlich notiert und archiviert wurden. Keiner wurde der schwarzen Gestalten gewahr,

Weitere Kostenlose Bücher