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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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reden, er wirkt krank. Selbst von der Suppe, die es heute endlich wieder gab, wollte er nichts nehmen.

    19. November 1917

    Heute Abend ist etwas geschehen, was ich mich bisher geweigert habe, zu sehen. Heidegger bestellte mich wieder in seine Stube, und lud mich wiederum zum Weine ein. Ich konnte es diesmal nicht über mich bringen mit ihm zu trinken. Er äußerte sich besorgt über meine Gesundheit, dann versuchte er es mit väterlicher Sorge und gab mir Ratschläge. Dann wurde er konkreter. Er erklärte, ich sei etwas ganz Besonderes für ihn, kam näher und begann dann, mich zu streicheln.
    Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, ich war so überrascht, dass ich erstarrte; so hatte er mich bereits an intimen Stellen berührt, bis ich reagierte. Ich wand mich aus seiner schmierigen Umarmung, schlug um mich und traf dabei auf seinen lüsternen Mund. Ich schlug ihm dabei die Lippe auf. Dann nannte ich ihn ein verfluchtes Schwein. Ich konnte nicht anders. Meine Zunge war schneller als mein Verstand.
    Wahrscheinlich brachte er mich nur deshalb nicht um, weil ein Kamerad an die Tür klopfte um eine Funknachricht zu überbringen. Doch ich befürchte, er wird die nächste Gelegenheit nutzen, um mich zu vernichten. Er muss es sogar tun.
    Am heutigen Abend schlug er erneut Hartmut zusammen, weil er die Teller angeblich nicht richtig gewaschen hatte. Ich habe meinen Kameraden alles erzählt. Sie wollen Heidegger beseitigen. Und, bei Gott, ich will es auch.

    01. Dezember 1917

    Ich habe etwas Schreckliches getan. Und doch weigere ich mich, es wirklich zu bereuen. Gott ist mein Zeuge, dass ich damit versuchte, Schlimmeres zu verhindern. Ich hätte es vielleicht schon früher tun müssen, doch erst die Angst um mein eigenes Leben hat mich zu diesem Schritt getrieben.
    Ich erinnere mich an jede Einzelheit, auf ewig eingebrannt in meine gequälte Seele. Ich schreibe hier alles ausführlich nieder, auf daß, falls jemals ein Mensch dieses Schriftstück liest, mich versteht.
    Auch Jakob machte mit. Er brachte Heidegger den Kaffee, den Hans mit der Blausäure gegen die Ratten vergiftet hatte. Die Blausäure habe ich aus dem Lager gestohlen. Das heißt, er wollte ihm den Kaffee gerade bringen, da trat Heidegger auf mich zu. Was ich mir eigentlich einbildete, brüllte er mich an. Ich fragte aufsässig zurück, was er denn meine. Das wisse ich ganz genau, schrie er mich an, und er dulde die Nachlässigkeit und die Unruhe, die ich hier in seine Truppe brächte nicht länger. Ich würde ihn noch kennenlernen. Da war mir endgültig klar, dass er einen Vorwand vorbereitete, um mich zu töten. Und plötzlich wich jegliche Angst von mir.
    Ich sagte ihm unverblümt, dass ich ihn und seine Neigungen ja nun gut genug kennengelernt hätte. Da schnappte er erst nach Luft. Ich wollte noch alles sagen, was ich besagte Nacht gesehen hatte, doch da schlug er schon zu.
    „Dafür entschuldigen Sie sich!“ Er hatte mich am Kiefer getroffen, meine Lippe war aufgeplatzt und ich schmeckte das Blut in meinem Mund.
    „Dafür werden Sie sich jetzt entschuldigen! Auf die Knie!“

    Bertholds Hände verkrampften sich. Das war doch nicht möglich! Hämmernden Herzens las er weiter.

    Jakob reichte ihm betont demütig den Kaffee. Der kluge Jakob! Er hatte das übliche Ritual dieses Sadisten gut beobachtet und wusste genau, wie er es machen musste. Gönnerhaft grinsend nahm Heidegger die dampfende Tasse. Ein Tritt in meinen Magen ließ mich zu Boden sinken.
    Dann nahm er einen ordentlichen Schluck. Keiner von uns hielt ihn davon ab.
    Damit wusste ich, dass sein Ende besiegelt war. „Perverse Schwuchtel!“ stieß ich hervor.
    Heidegger dankte mir dies mit einem weiteren Schlag ins Gesicht, sowie zwei Fußtritten in den Magen. Der Schmerz breitete sich langsam und gnadenlos aus. Er hatte mit aller Kraft getreten. Ich befürchtete, er brächte mich nun doch noch um. Ich rang nach den Worten, die er verlangte, brachte aber nur ein Röcheln zustande.
    „Sie sollen knien, Sie verfluchtes Arschloch!“
    Mühsam kroch ich auf die Knie.
    „Ich höre, Brückner!“
    „Es tut mir leid ...“ brachte ich schließlich hervor.
    „Wie war das?“ Er kostete seinen vermeintlichen Triumph aus.
    „Es tut mir leid!“
    Er gab mir einen weiteren Fußtritt in den Bauch. Alle beobachteten die Szene gespannt.
    „‚ Herr Unteroffizier’ heißt das!“ Dabei fingerte er bereits an seinem Pistolengurt. Warum nur wirkte das Gift nicht?
    Der Tritt brachte einen Teil

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