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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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es nicht das, was ich anstrebe. Ich träume von einer Welt voller Farben. Voller Lebendigkeit. Es müsste langsam gehen, sehr langsam ... doch irgendwann wäre alles licht und voller Leben. Dieser ewige Tod wäre überwunden. Das ist mein Ziel!“
    „Sie sehen unsere Stadt also als einen Ort des Todes?“
    Harlans Augen wurden schmal.
    „Ja. das tue ich. Und Sie tun es auch.“
    Er stand auf und trat unruhig in die Mitte des Schlafraumes.
    „Tun Sie doch nicht so, als sei Ihnen dieser Gedanke noch nie gekommen! Was haben wir hier denn schon! Fleiß, Arbeit, Pflicht, Rituale. Wir vegetieren dahin in ewiger Dunkelheit, ohne Sinn, ohne Empfinden. Dafür haben wir Furcht, viel Furcht.
    Ja, ich hadere mit mir selbst und dem, was mir zu tun auferlegt ist. Aber vielleicht ist endlich der Zeitpunkt nahe, etwas zu ändern, nachhaltig zu ändern. Diesen Ort zu einem Ort der Freude zu machen.“
    „Und doch tragen Sie massiv dazu bei, dass die Menschen in dieser Dumpfheit verharren. Gespeist von Furcht, gedämpft durch hypnotische Rituale, geläutert durch legitimierte Schlachtungen.“
    Harlan biss die Zähne in seine Unterlippe.
    „Auch ich bin nur ein Teil des ganzen Systems“, sagte er nach einer Pause. „Ich habe das alles nicht erfunden. Es war bereits da, als ich eintrat in diese Welt.“
    Er begann jetzt, unruhig in Darius’ Schlafkammer umherzugehen.
    „Anfangs fügte ich mich den Gegebenheiten. Es erschien mir sinnvoll, geradezu vertraut. Ich hatte das Gefühl, dass es so richtig ist. Das es so sein müsste. Die Gewaltigkeit der Stadt überwältigte mich. Die Ordnung, der Ablauf. Die Bestimmtheit, mit der alles geregelt ist.
    Ich arbeitete damals in der Bibliothek. Tag für Tag tat ich dieselbe Arbeit. Ich verzettelte Bücher, ordnete alles, stellte die gelesenen Exemplare wieder in die Regale zurück. Bis mir eines Tages etwas auffiel.
    Ich hatte plötzlich den Eindruck, ein Exemplar, das mir als Neuzugang übergeben war, schon früher einmal verzettelt zu haben. Ich meinte mich deshalb zu erinnern, weil es ein Buch mit einem Ornament war, das mich an etwas erinnerte. Deshalb wohl war es in meinem betäubten Hirn irgendwie haften geblieben. Doch ich fand keinen rechten Zugang zu meinen verschütteten Erinnerungen, also tat ich es als unwichtig ab, zumal ich eine frühere Karteikarte nicht finden konnte. Dennoch tat ich diesmal etwas, was ich noch nie zuvor getan hatte: Ich fertigte eine Kopie der Karte an, versah sie mit einer ungelenken Skizze des Ornamentes und steckte sie ein.“
    Harlan wirkte erregt. Darius vermeinte, ein Zittern bei ihm wahrzunehmen, obwohl er die gleiche gerade, selbstbewusste Körperhaltung hatte wie sonst. Auch er selbst fühlte sich zunehmend angespannt. Es war geradezu verschwörerisch, was Harlan ihm so freimütig offenbarte.
    „Lange Zeit geschah nichts. Doch dann bekamen wir wiederum neue Bücher. Und dann entdeckte ich dieses Buch erneut. Es war ein ungeheurer Zufall, denn eigentlich hatte ein anderer Mitarbeiter dieses Buch in seinem Stapel. Bei der nächsten Gelegenheit suchte ich die mir verbliebene Kopie der Karte und verglich zunächst die Ornamente.
    Sie stimmten perfekt überein.
    Im Archiv dagegen war die Karte, die ich selbst vor längerer Zeit angefertigt hatte, verschwunden.
    Am Ende der Arbeitsnacht inspizierte ich erneut die Kartei. Eine neue Karte war angelegt worden und befand sich säuberlich eingeordnet an ihrem Platz.
    Später versuchte ich, das Buch in unserem Bestand zu finden; nach längerem Suchen fand ich es, nicht ganz an der korrekten Stelle. Seitdem kontrollierte ich mehrfach nach – bis ich es eines Nachts nicht mehr fand. Auch der zugehörige Zettel war verschwunden.
    Seitdem wurde ich aufmerksam, aufmerksamer als ich es je gewesen war. Schließlich wurde es erneut eingeliefert. Ich entdeckte es in einem Stapel wiederum eines anderen Mitarbeiters. Am gleichen Tag war das Buch erneut verzettelt und einsortiert. Allerdings war es an einer anderen Stelle eingestellt worden als zuvor, ohne dass ich den Sinn dieser Tatsache herausfand.
    In dieser Zeit hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, die mir zugetragenen Bücher unauffällig mit einem Zeichen zu versehen. Ich tat dies immer an unauffälliger Stelle auf der jeweils siebten Seite.
    Dann kam die Nacht, an der ich erkannte, dass mein Argwohn berechtigt war. Ich erhielt ein Buch, das mein Zeichen trug. Und je mehr Zeit verging, desto mehr Bücher wanderten über meinen Tisch, von denen ich nun

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