Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
Vom Netzwerk:
ein. In das Schloss. Den Ort, den ich hasste und fürchtete. Ich wurde abgeholt, wie so viele Bürger, von denen ich bisher nur wusste, dass sie eine Weile fort waren, um dann wiederzukehren, friedlich, stumpf, verändert und doch gleich. Ich vermeinte, nun auch an der Reihe zu sein.
    Doch ich wurde in einen großen Saal geleitet. Dort empfing ER mich, jener, der das Oberhaupt war über alles, was in der Stadt geschah.
    Sein Name war Olov.
    Niemand hat ihn je gesehen, und niemand wird ihn je sehen. Denn er ist fort. Er ist gegangen, weil er mir seinen Platz anbot. Und ich habe angenommen.
    Alt ist er gewesen. Und müde. Ein massiger, großer Mann, wuchtig, bedrohlich, mit hervortretenden Augen und einem breiten Kreuz.
    War da noch etwas Anderes? Vielleicht eine Bestimmung, etwas Vorgegebenes, dem er folgte, wer weiß?
    Er muss mich lange Zeit schon beobachtet haben. Er wusste alles über mich. Und er schien das, was mich ausmachte, alles, was so bedrohlich ist für jene, die den dumpfen Nebel als Sicherheit für alle Abläufe unseres Daseins hier ansehen, für eine besondere Fähigkeit zu halten, die nur er schätzen konnte, weil kein anderer verstehen konnte, was für eine Kraft die Farben haben, die Düfte, die Aromen, die ich entdeckt hatte in dieser winzigen Blüte.
    Ich glaube, dass er dies ebenfalls kannte.
    Anstatt mich zu vernichten, weihte er mich ein in das Geheimnis unserer Macht. Und er übergab mir am Ende alles. Denn als ich ihn sah, erkannte ich etwas anderes, was ich bisher nie gesehen hatte.
    Denn Ordnung ist das Gegenteil von Chaos. Disziplin das Gegenteil von Schlendrian. Beherrschen das Gegenteil von Anarchie.
    In dunklen Vorzeiten zogen die Horden durch das Land. Die stärkere herrschte über die schwächere. Furcht und Angst war der Alltag, und wollte man nicht untergehen, musste man selbst zum marodierenden Barbaren werden. Wie Ratten waren sie, hausend im Untergrund, hervorkommend im Dunkel, ohne Gnade, voller Gier.
    Die Ordnung brachte den Frieden. Die Menschen wurden gleich, der Stärkere wurde in die Knie gezwungen, die Schwächeren wurden gestärkt. Die Gesetze brachten Sicherheit. Damit war das Zeitalter der Kaddharsiaden angebrochen, der Bücher der Regeln. Die Weisheit von Äonen von Zeitaltern, auf die wir uns wieder besonnen.
    Die Rebellen von einst hatten gemeint, sie bekämpfen zu müssen. Sie galten als überholt, einengend, destruktiv. Und so wurden sie abgeschafft. Als ob man Grundregeln des Seins abschaffen könnte!
    Olov ließ mich wissen, dass sich die Menschen nicht freiwillig den Gesetzen fügen, auch, wenn sie ihnen nur Gutes bringen. Man muss die Gesetze verkünden und sie unter sie zwingen. Erst dann würden sie verstehen, dass ihnen dies Frieden und Sicherheit bringt. Dieses Erbe hatte Olov verwaltet und vervollkommnet. Nie wieder hätten die Menschen Furcht vor den wilden, ungezähmten Horden, den Ratten, den Dämonen, dem ungezügelten Bösen. Und ich, ich sollte dies fortführen können.
    Als ich erschlossen hatte, welche Möglichkeiten ich haben könnte, wich meine Angst. Meine quälende, klammernde Furcht, die mir die Kehle zuschnürte, mich zittern ließ, – sie entschwand urplötzlich. Fort waren die bedrohlichen, nassen Schwingen des großen schwarzen Vogels der Angst, der meine Seele heimsuchte. Dann fühlte ich Kraft aufsteigen. Eine Kraft, so ruhig und selbstverständlich, wie ich sie zuvor nicht kannte. Es war mir, als hätte ich meinen Platz gefunden.
    Olov sah mein Erwachen als eine Macht, eine Fähigkeit, die er nur mir zutraute. Er zeigte mir die Soldaten, die gleichen, die ich kürzlich Ihnen gezeigt habe. Er zeigte mir die Stadt, ähnlich wie ich sie Ihnen zeigte. Und da erkannte ich, dass es notwendig ist, sich den Gegebenheiten zu fügen, sich einzufinden in den Strom des Seins. Und das zu tun, was notwendig war. Und ich berauschte mich an dem Gedanken, nie wieder bedroht, überwacht, manipuliert zu sein, um stattdessen die Macht über all das zu haben, was mich einst geängstigt hatte.
    Ich wurde ein Teil von allem, wenn auch ein bedeutender. Und doch habe ich mein Werden und mein Erwachen nicht vergessen. Mein Leid, meine Ängste.
    Meine Sehnsucht.
    Verkörpert durch diese kleine Blume, die mir etwas bisher Unbekanntes in dieser Welt gezeigt hat. Durch die ich den Duft des Lebens habe ahnen dürfen.“
    Ein Lächeln umspielte Harlans Mundwinkel.
    „Denn letztendlich erkannte ich, dass auch diese wunderbare Macht, der Frieden, die Ordnung seinen

Weitere Kostenlose Bücher