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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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entlang. Nach längerer Zeit des Gehens passierten sie einen Übergang, der wie eine vollständig ummantelte Brücke anmutete – der Boden tat eine Wölbung und bildete eine Kuppe, auf deren Höhe in den Wänden jeweils ein merkwürdiges dreieckiges, durch zahlreiche Steinstreben in künstlerischem Ornament unterbrochenes Fenster die Sicht freigab auf eine riesenhafte Höhlung von zerklüfteten Gesteinsvorsprüngen, deren Boden unendlich weit unter ihnen zu sein schien. Einige schwach auszumachende Feuer verrieten, dass auch hier menschliche Aktivitäten stattfanden. Darius vermeinte sogar, einige Gebäude in der Tiefe erkennen zu können.
    „Unser Steinbruch“, erklärte Grim.
    Ohne sich in weitere Erklärungen zu verlieren, setzte Grim seinen Weg zügig fort, nahm einen Seitenweg nach links, die durch eine eigenartige Holztür in Form eines riesenhaften Fensterladens mit zahlreichen Querlamellen abgeteilt war. Der Weg dahinter wirkte rau und unregelmäßig, grob aus dem Fels herausgehauen wie ein Bergwerksstollen, und ausgesprochen niedrig. Gebückt schoben sich alle nacheinander hindurch und erreichten schließlich eine quadratische Kammer mit roh herausgeschlagener Kuppel. Bei näherem Hinsehen, nachdem sich Darius an die pechschwarze Finsternis gewöhnt hatte, erwies sich die Kuppel als oben in ihrer höchsten Erhebung offen – das heißt, sie ging nahtlos über in eine Art Kamin. Als Darius direkt darunter stand, konnte er die Sterne sehen.
    „Sie mögen den äußerst provisorischen Zustand dieses Bereiches entschuldigen“, sagte Grim. „Wir sind erst vor kurzer Zeit bis hierhin vorgedrungen und haben diese Kammer soweit hergerichtet, dass sie für erste ernsthafte Versuche tauglich erscheint.“
    Er trat ein wenig beiseite, die anderen Anwesenden taten es ihm nach, um Platz zu machen für zwei kräftige Männer, die eine Art Thron herbeischleppten. Sie stellten ihn behutsam in die Mitte des Raumes, genau unter die Öffnung zum Himmel.
    Darius erkannte ein eigenartiges Konstrukt: Der hintere Teil des mit prachtvollen Schnitzereien verzierten Holzstuhles besaß anstatt der Beine auf jeder Seite eine Art überdimensionales Speichenrad, das aber mittels einer gebogenen Schiene so fixiert war, dass es nicht über den Boden rollen konnte. Vielmehr war der Thron selbst darin beweglich gelagert, so dass er mitsamt der Rückenlehne nach hinten gekippt werden konnte.
    „Dies ist, in gewisser Weise, Ihre Arbeitsstatt“, sagte Grim mit verschmitztem Lächeln.
    Darius wusste, dass er darauf Platz nehmen sollte. Er berührte die mit Löwenköpfen beschlossene Armlehne.
    „Ihre Arbeit besteht, wie Sie richtig vermuten, darin, es sich hier auf diesem Stuhl bequem zu machen. Alles Weitere hängt von Ihren besonderen Fähigkeiten ab. Und diesem Ort hier.“ Grim machte eine weite Armbewegung. „Wir befinden uns hier in dem Bereich der Anderen – im Felsmassiv der Dunklen Festung. Die Energie, die hier ist – und die bisher ausschließlich die Anderen nutzen – die zapfen wir hier an. Leider sind wir lediglich im Randbereich, daher herrschen nicht gerade optimale Bedingungen. Wir hoffen aber, dass wir, mit Ihrer Hilfe, hier zur Welt der Lebenden wandern können.“
    „Woher wisst ihr das?“ fragte Darius.
    Grim sah ihn an. „Einigen von uns“, erklärte er, „darunter mir selbst, ist es gelungen, von hier aus in jene Welt zu sehen . So sahen wir, mehr oder weniger undeutlich, kleine Ausschnitte von dem, was einst unsere Welt war, aber ohne jede Möglichkeit, uns bemerkbar zu machen oder gar etwas zu beeinflussen. Daher glauben wir, dass sich dieser Bereich für uns nutzen lässt. Und so möchte ich Sie heute dazu einladen, diesen Ort zu erproben. Setzen Sie sich hierher und entspannen Sie sich. Und nehmen Sie Kontakt auf zu jenen dort drüben. Alles, was über das bloße, undeutliche Sehen hinausgeht, ist ein großer Erfolg. Sie brauchen sich also nicht unter Druck gesetzt fühlen.“
    Darius spürte das erwartungsvolle Schweigen um ihn herum. Erst jetzt merkte er, dass alle Anwesenden einen Kreis um ihn, Grim und den Thron gebildet hatten. Er fühlte sich unbehaglich bei dieser ungeteilten Aufmerksamkeit. Auch fühlte er die Schwere der Bedeutung, die in dem ganzen Vorhaben lag.
    Er setzte sich auf das dunkle Lederpolster und legte die Arme auf die kunstvollen Lehnen. Seine Hände griffen die geschnitzten Löwenköpfe. Angstvolle Erwartungen tauchten auf. Er erinnerte sich an seine Träume.
    „Seien Sie

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