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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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Tür nach draußen stand offen. Im nebeligen Zwielicht des frühen Morgens erkannte er viele Soldaten, die vor einer niedrigen Steinmauer kauerten. Eine Stimme wisperte etwas.
    „Halt endlich deine verdammte Schnauze!“ zischte jemand zurück.
    Nach einigen Sekunden des Schweigens raunte jemand einen Befehl: „Also los, Leute! Duckt euch und schiebt euch durchs Unterholz! Keinen Laut!“
    Die Männer rührten sich nach und nach. Die Männer schoben sich durch die Tür. Darius versuchte, den jungen Mann ausfindig zu machen, den er gerade noch gesehen hatte. Auf einmal wusste er, dass Gefahr drohte. Große Gefahr.
    Darius duckte sich und schlich den Soldaten hinterher. Angstvoll sah er sich um. Einige der Soldaten waren schon dabei, die Mauer zu überwinden, die anderen drückten sich mit rauchendem Atem im Schatten der Mauer, um ihnen gleich nachzufolgen.
    Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubender Lärm. Das Knattern eines schweren Geschützes erfüllte die Luft. Der kleine dicke Soldat direkt neben Darius wurde zurückgeworfen, als habe man ihm einen Kinnhaken verpasst. Darius blickte verstört auf ihn hinunter. Eine Kugel hatte seine Stirn durchschlagen, und seine kleinen blassblauen Augen blickten starr und gebrochen ins Nichts.
    Da war er! Darius sah deutlich den entsetzten Blick jenes Soldaten, als den er jenen jungen Mann erkannte, dem er sich so verbunden fühlte. Nur drei Meter weiter lag zuckend ein weiterer, ganz junger Soldat. Seine ganze Brust war ein einziges, blutiges Loch, und er zuckte noch, obwohl er schon tot war.
    Darius’ Gedanken rasten. Was konnte er nur tun, um Himmels Willen? Sein Schützling schickte sich schon an, über die Mauer zu klettern. „Nein! Nein!“ schrie Darius verzweifelt. Er stürzte ihm hinterher.
    Es war ein grauenhafter Anblick. Darius erkannte bereits mehrere Leichen. Im Morgennebel krochen sterbende Soldaten auf dem gefrorenen Boden herum. Mehrere Männer wurden von den in sie eindringenden Kugeln nur so geschüttelt, bevor sie für immer zu Boden stürzten. Granaten explodierten und eine Tretmine riss einen Mann vor Darius’ Augen in Stücke. Sein eines Bein und ein Arm flogen mehrere Meter weit. Schmerzensschreie ertönten aus allen Richtungen.
    Der junge Mann hatte sich auf den Boden geworfen. Noch war er verschont geblieben. Jemand heulte vor Angst. Auch Darius erfasste ein ungekanntes Grauen. Doch hielt ihn die Angst, seinem vertrauten Freund könnte etwas passieren, bei Bewusstsein. Panisch sah er in die Szenerie. Die Mündungsfeuer waren fast hundert Meter entfernt, doch konnten seine guten, an Zwielicht gewöhnten Augen schemenhaft die feindlichen Soldaten erkennen.
    Sein Schützling war hinter einen dichten Busch gekrochen. „Gut so!“ flüsterte Darius. Im nächsten Augenblick krepierte eine Granate direkt neben ihm. Darius vermeinte, noch nie so einen Knall gehört zu haben. Instinktiv warf er sich auf den Boden, in die Richtung des Busches, ohne zu wissen, wie genau er ihn eigentlich beschützen könnte.
    Ein vorbeilaufender Offizier brüllte dem Mann zu, er solle aufstehen und kämpfen. Darius verfluchte den Kerl. Der wäre zudem fast auf ihn getreten. Er hatte aber keine Zeit, sich darüber zu wundern, denn der junge Mann hatte sich aufgerappelt und lief mitten in das Schlachtfeld. Er konnte wohl kaum etwas sehen oder er war angesichts der wahnsinnigen Angst ganz konfus, denn er schoss immer wieder ohne rechtes Ziel in Richtung des Mündungsfeuers. Doch da sah Darius etwas.
    Er blickte mit seinen scharfen Augen mitten durch den Nebel hindurch. Ein feindlicher Soldat kniete im Unterholz und richtete sein Gewehr auf den heranstürmenden Soldaten. Gleich würde er abdrücken.
    Darius richtete sich auf und stürmte voran. Er rannte mitten durch den Kugelhagel, doch er kannte nur den einen Gedanken. Wie im Traum schnellte er voran und warf sich auf ihn.
    Der junge Mann knickte unter ihm zusammen wie ein Halm. Die Kugel, die für ihn gedacht war, pfiff dicht über ihnen vorbei. In nächster Nähe explodierte eine Granate und peitschte eine Masse von Sand und Steinen in ihre Richtung.
    Darius lag auf seinem Schützling, der sich nicht mehr regte. Mehrere Steine hatten ihm das Gesicht verletzt, durch den Sturz hatte er das Bewusstsein verloren. Sein linker Arm war verdreht. Doch er atmete zu Darius’ Erleichterung.
    Vorsichtig hob Darius den Kopf. Die Schreie der Soldaten wurden leiser und weniger. Ein Zeichen, dass die Kameraden starben. Todesverachtend

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