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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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bei der SS zu haben.“
    „Ich habe dich nicht großgezogen, damit du Mitglied einer dämlichen Polizeitruppe wirst, die die Werte des Herrn verachtet“, sagte Nachtmann mit seiner gefährlichen, metallischen Stimme.
    „Hüte deine Zunge. Diese ‚dämliche Polizeitruppe’, wie du sie nennst, tut genau das, was du seit langem forderst. Wir sorgen für Ordnung in diesem Land, genau, wie du selbst es mir dargelegt hast. Und komm’ mir nicht mit Gott“, sagte Harald ebenso leise und stählern, „ich habe deine bigotten Machenschaften satt. Ich rate dir, den Mund nicht zu weit aufzureißen. Der Führer schätzt allzu kritische Leute nicht.“
    Mit unbewegtem Ausdruck wandte er sich ab und schloss energisch die Tür. Erst jetzt, im Hinabgehen der Stufen, merkte er, dass ihm die Beine zitterten, dass sein Herz wild schlug

    Es dauerte einige Monate, bevor Harald in den ersten Genuss seiner neuen Macht kam. Er absolvierte seine Grundausbildung in der gewohnten Souveränität. Schnell erkannte er, dass seine Ausbilder es nicht schätzten, wenn sie merkten, dass er ihnen intellektuell weit überlegen war. Er war ganz gehorsamer Diener seiner Truppe, und wahrte stets den Anschein, ebenso entschlossen wie demütig zu sein. Er hatte einen guten Lehrmeister gehabt.
    Umgekehrt hatte er sehr schnell herausgefunden, wer sich als Untergebener eignete. Einigen „Sturmmännern“, machte er durch seine kluge Überlegenheit Angst. Obgleich neu in der Truppe, war er unter den Kameraden im Nu zu einem heimlichen Befehlshaber avanciert, der seine Bediensteten hatte. Man organisierte ihm Zigaretten, trug ihm Neuigkeiten zu und informierte ihn über alles, was gesagt und getratscht wurde.
    Unbewegt und beherrscht stand er nun vor SS-Sturmbannführer Grothe in dessen Amtsstube. Die Tür wurde flankiert von zwei SS-Wachmännern, ihm zur Seite stand sein Adjutant Prantl. Ein mächtiger, wenn auch grober Schreibtisch beherrschte das Zimmer, dahinter ein großes Portrait des Führers, umgeben von zwei der schwarz-weiß-roten Fahnen mit dem Hakenkreuz, dem Sonnenrad, dem großartigen heidnischen Symbol stolzer germanischer Kraft. Harald hatte inzwischen begonnen, dies in sich zu spüren, auch wenn es sich zunächst nur langsam geregt hatte.
    „Harald Nachtmann! Der Sohn des mächtigen Fabrikanten! Ich kann’s kaum glauben!“
    Grothe war feist und eher klein, und sprach extremen Berliner Dialekt. Er hatte eine spiegelnde Glatze, obgleich er erst Mitte vierzig sein mochte. Er pulte sich mit einem Zahnstocher in den Zähnen herum und saß dabei eher bequem als diszipliniert auf seinem Sessel.
    „Was macht’n der Sohn des alten Protestanten hier bei uns’ra Truppe?“ wollte Grothe grinsend wissen. „Se dürf’n sich rühr’n!“
    „Der Wunsch nach Ordnung, Aufbau und Treue!“ antwortete Harald präzise und knapp mit seiner beeindruckenden tiefen Stimme. Er hatte Grothe bereits als schmierigen, selbstgefälligen Machtmenschen erkannt, hütete sich aber, dies zu zeigen.
    „Ach nee! Da spricht ja janz der Papa!“ Grothes Mundwinkel entfernten sich mehr und mehr voneinander. „Wo bleibt denn bei Ihnen die Kirchentreue, Sturmmann?“
    „In diesem Punkt stimme ich mit meinem Vater nicht überein, Herr Sturmbannführer!“
    „In diesem Punkt! Das ist ja fein!“ Grothes Grinsen gefror. „Ick hoffe, auch in eenem andern Punkt.“
    Er beugte sich vor. „Wir können hier nämlich keene Dickschädel gebrauch’n, die nur das machn, was ihnen beliebt“, sagte er schneidend.
    „Jawohl, Herr Sturmbannführer!“
    Nur keinen Widerspruch erahnen lassen. Solchen Menschen musste man stets das Gefühl geben, im Recht zu sein.
    Grothe lehnte sich wieder zurück. „Schön, schön! Ick muss ja sagen: Ick hätt’s mir nich’ träumen lassen, den Sohn des großen Wolfgang Nachtmann mal unter die Fuchtel zu krieg’n! Verstehn se mich nich’ falsch! Ihr Herr Vater ist gewiss ’n großer Sohn dieses Landes! Wenn ich Sie so sehe, hat er gute Erziehungsarbeit geleistet!“
    Nur zu wahr, dachte Harald. Er hasste seinen Vater für diese Erziehungsarbeit, aber er würde sie nutzen, das hatte er sich geschworen. Er würde sie alle beherrschen, auch Ratten wie diesen feisten Kerl vor ihm. Er musste nur Geduld haben.
    „Danke, Herr Sturmbannführer!“
    Grothe ließ sich wieder bequem nach hinten fallen. „Ach ja! Diese Unerschrockenheit des Nachwuchses treibt mir doch fast die Tränen in die Augen! Nich’ wahr, Prantl?“
    Der Untersturmführer

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