Die schlafende Stadt
lächelte süffisant.
„Dann tun se doch ma’ was Schönes für uns!“ wandte er sich wieder an Harald. „Die Gestapo braucht ’n bisschen tatkräftiche Unterstützung! Melden sie sich bei SS-Sturmbannführer und Kriminalrat Dr. Pfannzagl. Hier sind Ihre Papiere.“
Haralds erste Arbeit war die Mitwirkungen bei Verhaftungen. Er fuhr mit seinem Vorgesetzten, Hermann Kraushaar, der in seinem langen, schwarzen Ledermantel aussah wie ein Dämon des Bösen, und ein paar seiner Kameraden in der schwarzen Dienstlimousine an ihren Bestimmungsort. Es war im Morgengrauen, die Straßen waren nass, die Luft war kalt und feucht. Noch war die Sonne nicht aufgegangen.
„Ihr haltet alle Euren Mund“, sagte Kraushaar. „Wir gehen da jetzt rein und holen den Scheißer da raus. Hört heimlich englische Radiosender. Die Nachbarin hat es uns gesteckt. Ist ein kleines Licht, aber die müssen wir auch auspusten, um einen Flächenbrand zu verhindern. Noch Fragen?“
Das Gebäude lag in einer ruhigen Seitenstraße. Sie stiegen durch ein dunkles Treppenhaus. An der schweren, alten Holztür mit der Aufschrift „Dr. Scharfschwerdt“, hielten sie an. Kraushaar klingelte energisch und ungeduldig. Seine Mundwinkel hatten sich nach unten verzogen, seine Augen wurden schmal.
Schlurfende Schritte hinter der Tür. Kraushaar hämmerte an die Tür.
„Aufmachen! Polizei!“
Die Tür öffnete sich. Kraushaar stieß mit dem Fuß dagegen. Die Frau im Morgenmantel stieß einen Schrei aus, als die schwarzgekleideten Männer in die Wohnung stürmten.
„Wo ist Dr. Scharfschwerdt? Wo ist Ihr Mann?“ herrschte Kraushaar die Frau an. Sie bibberte vor Angst und war bleich wie der Tod vor Entsetzen.
„Hier bin ich.“ Ein älterer Mann im Morgenmantel stand auf dem Flur. Sein Haar war noch wirr von der Nacht, er trug eine Brille und hatte einen kurz gestutzten, weißen Kinnbart
„Ziehen Sie sich an“, bellte Kraushaar. Er bedeutete einem der Männer, ihm dabei zu folgen, der sich sofort aufmachte.
„Was wirft man meinem Mann vor?“ meldete sich die Frau zu Wort.
„Staatsfeindliche Umtriebe“, sagte Kraushaar.
„Aber mein Mann hat nichts getan!“ begehrte sie auf.
„Das können wir besser beurteilen, gute Frau.“
Dr. Scharfschwerdt hatte sich inzwischen notdürftig angekleidet. Der Sturmmann stieß ihn vor sich her, so dass er stolperte und fast gestürzt wäre. Harald merkte sehr wohl, dass dies nicht nötig gewesen wäre. Diese Art von Arbeit war offenbar wie geschaffen für Leute mit geringem Selbstbewusstsein, die sich aufwerten konnten, indem sie andere demütigten. Er würde sich diesen jämmerlichen Wicht merken.
„Mach dir keine Sorgen, Maria“, sagte Dr. Scharfschwerdt, „es ist bestimmt ein Irrtum. Ich bin bald wieder da.“
„Klar doch!“ witzelte Kraushaar, „wenn an den Anschuldigungen nichts dran ist, sitzt er im Nu wieder bei Ihnen am Tisch!“
Der Trupp begab sich durch das Treppenhaus nach unten. Ausdruckslos glotzten die Türen auf sie. Harald konnte förmlich riechen, wie sich dahinter Gestalten herandrückten, um zu belauschen, was da vor sich ging, sensationslüsterne Ohren, die sich ans Holz pressten. Dr. Scharfschwerdt versuchte, würdevoll und aufrecht zu folgen. Harald sah seine Angst mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung. Still passierte dies alles, keine Gegenwehr, nichts. Harald wunderte sich, wie unspektakulär doch alles ablief.
Er erinnerte sich an jene drei SS-Männer in seiner Garderobe. Damals, in seinem früheren Leben. Auch er hatte damals nicht gewagt, gegen drei schwarzgekleidete Schergen etwas zu unternehmen. Er hatte Roman geopfert, ohne viel Gegenwehr.
Eine grausame, kalte Klammer legte sich um sein Herz. Er hatte plötzlich Angst, unrühmliche Angst, was an diesem würdevollen Herrn, der jetzt ins Auto gezwungen wurde, verübt werden würde. Nein, er würde nicht weich werden! So lief das nun mal. Jetzt, wo er zu der anderen, sicheren Seite gehörte, wurde ihm umso klarer, wie leicht man Menschen einschüchtern konnte.
Ob es Kraushaar war, oder Grothes Einfluss, womöglich aber auch nur Zufall – inmitten seiner präzise geführten Verwaltungsarbeit, die er als mittlerweile neu ernannter Kriminalassistent zu vollführen hatte, ereilte ihn ein Sonderbefehl, der ihn von seinen Karteikarten und Formularen weg und direkt ins außerhalb gelegene Gefängnis führte. Betroffen davon waren auch einige andere seiner Kameraden – oder besser „Zwangsgenossen“, wie er sie
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